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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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geworden!“
    Das Wölkchen, nach dem sie mit der Hand deutete, war in dem Augenblick des Sonnenuntergangs entstanden und schien sich schnell vergrößern zu wollen. Es lag in ihm mehr Bewegung, als in der Atmosphäre rundum. Wir ritten nach dem Schloß, kamen an seinem westlichen Flügel vorüber und blieben vor dem hohen, breiten Postament des Engels halten. Es führte eine Freitreppe hinauf, zu deren beiden Seiten die Lanzenreiter Aufstellung genommen hatten. Oben an der letzten Stufe stand eine Frauengestalt in weißem Gewand. Ihr Angesicht war, genau wie das des Schech el Beled, von einem blauen Schleier verhüllt.
    „Die Schloßherrin!“ sagte Schakara zu mir.
    Marah Durimeh winkte mit der Hand hinauf und rief ihr freudig zu:
    „Wir kommen schnell! Und wir kommen gern! Sei gegrüßt!“
    Sie stieg an der Hand des rasch abgesprungenen Mir von Ardistan vom Pferd und schritt die Treppe empor, jugendlich leicht, und dennoch mit der gewohnten Würde einer Herrscherin. Wir folgten ihr. Die drei Frauen umarmten einander. Der Schleier wurde zum Kuß nur ein wenig gelüpft. Als wir oben ankamen und der Schloßherrin gegenüberstanden, nannte ihr der Schech el Beled unsere Namen. Sie begrüßte uns mit der Hand und sprach einige kurze, freundliche Worte. Es ging von ihr ein feiner, süßer Duft aus, ähnlich dem Duft der Kätzchenblüten zur Osterzeit, wenn sie an Altären die Palmenweihe erhalten. Als der Dschirbani diesen Duft verspürte, zuckte er zusammen. Er machte eine Bewegung, als ob er zu ihren Füßen niederknien wolle; da aber kam Marah Durimeh ihm schnell zuvor. Sie nahm die Schloßherrin bei der Hand, schritt mit ihr nach der Vorderseite des Engels und sagte:
    „So kommt, und laßt uns nach den Ebenen schauen und nach den Menschen, die Frieden und Segen von uns erwarten. Noch ist es hell genug, die Hilfe kommen zu sehen, die ihnen der Engel der Wasserscheide spendet. Inzwischen mögen die Offiziere der Lanzenreiter die Treppe öffnen.“
    Ich wollte mitgehen, blieb aber stehen, als ich sah, daß der Dschirbani wie gebannt an seiner Stelle verharrte.
    „Fasse dich!“ bat ich ihn. „Es kommt so, wie es kommen muß.“
    „Dieser Duft, dieser Duft! Und diese Stimme!“ sagte er. „Vor allen Dingen aber dieses mächtige Ahnen meines Innern, also meiner Seele! Glaubst du, daß dieses Ahnen mir die Wahrheit sagt?“
    „Ich glaube es“, antwortete ich.
    „Aber dann wäre der Schech el Beled –! Er ist doch wohl der Herr des Schlosses?“
    „Jedenfalls.“
    „Und sie die Schloßherrin?“
    „Ja.“
    „Aber dann wäre er doch mein – mein – mein –“
    Er konnte seiner Vermutung nicht weitere Worte geben, weil die Offiziere kamen, um die Stelle, wo man hinunter in das Innere des Postaments stieg, zu öffnen. Das geschah genau in derselben Weise wie bei dem Engel der ‚Stadt der Toten‘ und des Engpasses Chatar. Nicht lange, so kam Marah Durimeh zurück und stieg, von uns begleitet, hinab. Die Einrichtung des oberen Gemachs war dieselbe wie bei den soeben genannten beiden Engeln. Es gab dasselbe Räderwerk, aber viel, viel größer und stärker, und keine Schöpfgefäße und Tröge. Auch gab es zwei Türen rechts und links in den Mauern. Sie schienen nach dem Innern des Schlosses zu führen. Und die Außenwand war nicht geschlossen, sondern weit und hoch geöffnet. Es drang eine Fülle des Lichts herein, und draußen setzte sich der Fußboden in einem breiten, geräumigen Söller fort, der zum Schutz für die Hinabschauenden mit einer hohen, starken Brüstung versehen war. Marah Durimeh schien dieses Gemach, welches außerordentlich saubergehalten war, zu kennen. Sie berührte den Doppelgriff des Rades und nickte sehr ernst dazu. Dann trat sie hinaus auf den Altan. Wir folgten ihr.
    Wir befanden uns in schwindelnder Höhe. Unter uns gähnte die Tiefe des Kessels. Aber das besorgte Auge wurde durch den Anblick der Häuser und Gärten sofort beruhigt. Auf den Straßen und Plätzen der Stadt herrschte festtägige Bewegung. Die ‚Pantherfalle‘ hatte, von hier oben aus gesehen, die Größe von nur einigen, wenigen Sträuchern. Ein paar Leute des ‚Panther‘, die außerhalb dieser Büsche standen, waren jetzt nur kleine Punkte, die hinweggeschwemmt werden sollten. Das Land senkte sich, so weit das Auge reichte, unaufhörlich nach Süden. Es schien ein Paradies zu sein und harrte doch der Erlösung von der Dürre. Am Himmel floh das verschwindende Abendrot vor den dunkleren, östlichen Tinten.

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