25 - Ardistan und Dschinnistan II
hinaus auf den Balkon. Das Wasser rauschte nicht mehr so stark herauf wie vorher. Es hatte den Boden des Kessels ausgefüllt und stieg nun immer stiller und stiller. Der Himmel sah aus wie ein schwarzes Tuch, welches bis auf die Dächer des Schlosses niederhing. Die Lichter der Stadt schimmerten nur wie kleine, verschwindende Pünktchen zu uns herauf. Plötzlich strich ein so starker Windstoß an uns vorüber, als wolle er uns hinunter in die Tiefe fegen. Ihm folgte ein Blitz, ein Krach und ein dröhnendes Rollen, nach dem sofort ein starker, schwer aufschlagender Regen niederstürzte.
„Marah Durimeh hatte recht“, sagte Halef. „Das Unwetter ist da. Gehen wir hinein!“
Kaum hatten wir dies getan, so begann es draußen derart zu wüten und zu toben, zu rasseln und zu prasseln, daß es unmöglich war, unsere eigenen Stimmen zu hören. Blitz folgte auf Blitz. Schlag auf Schlag, als dürfe nicht die geringste Pause zwischen ihnen liegen. Der fallende Regen war schon mehr eine stürzende Flut. Es war, als ob das Schloß in allen seinen Grundfesten erbebe. Ein ängstliches Gefühl ließ jedermann wünschen, nicht allein zu sein. Darum fanden wir es begreiflich, daß ein Diener kam, der uns meldete, in welchem Raum unsere Gefährten auf uns warteten.
Es war ein ziemlich großer, hell erleuchteter Saal. Wir fanden da den Mir von Ardistan, den Scheik der Ussul, seinen braven Unteranführer Irahd und einige höhere Offiziere der ‚Schwarzgewappneten‘ und der Lanzenreiter. Diese letzteren hatten Dienst für die ganze Nacht. Kalte Speisen waren aufgetragen, nach Belieben davon zu nehmen. Frauen sahen wir keine. Zuweilen kam der Schech oder der Dschirbani herein, doch nur für kurze Zeit. Der letztere zog mich an sich und küßte mich auf die Wange, gab aber seinem Glück keine Worte, die doch nur schwer zu hören gewesen wären.
So ging es bis fast eine halbe Stunde vor Mitternacht. Da gab es noch eine alle möglichen Detonationen zusammenfassende Entladung, wie ich wohl noch niemals eine erlebt hatte, und dann war es plötzlich still, so still, daß ich den Mir von Ardistan, der in diesem Augenblick neben mir stand, vernehmlich atmen hörte.
„Allah 'l Allah!“ sagte Halef. „Wieder hat Marah Durimeh recht. Es ist vorüber. Kurz vor Mitternacht!“
Wir horchten hinaus und hinunter. Es fiel kein Tropfen mehr. Der Himmel war noch dunkel, aber hoch, nicht mehr so niedrig. Aus der Tiefe klangen jammernde Töne. Einzelne Schreie stiegen empor, scharf, angstvoll, wie in höchster Not und Gefahr. Kam das vom ‚Panther‘ und seinen Leuten? Er hatte doch behauptet, daß er den Tod nicht fürchte! Da kam der Schech, um uns zu sagen, daß die Frauen in einem anderen, nach dem See hinaus liegenden Saal auf uns warteten. Wir machten ihn auf die Hilferufe aufmerksam, die wir hörten. Er antwortete:
„Bitte, sorgt euch nicht um diese Menschen, denen Gott mit Donner und Blitz und vernichtenden Wogen kommen muß, um den letzten Rest von Herz in ihnen zu rühren! Der Hafen ist eng umstellt. Man hält scharfe Wacht. Hat die Not den Grad erreicht, auf den ich warte, wird es uns gemeldet werden. Jetzt kommt!“
Wir folgten ihm nach einem Saal, von dessen Größe und Beschaffenheit wir nichts sehen konnten, weil er vollständig unerleuchtet war. Aber der Türe gegenüber, durch welche wir eintraten, gab es einen lichten, von senkrechten Säulen durchbrochenen Streifen, auf welchen zu wir uns bewegten. Das war eine offene Galerie, auf der die Frauen mit dem Schirbani soeben erst Platz genommen hatten. Von dort aus verwandelte sich der helle Streifen für uns in den See und die auf ihm ruhende Atmosphäre. Nach dieser Seite hin war der Himmel schon nicht mehr schwarz. Er begann sich aufzuklären. Er zeigte bereits Konturen. Das waren die Konturen der Vulkane von Dschinnistan. Sie waren nicht dunkel, sondern hell liniert. Und diese Linien gingen nach und nach in die Breite. Sie verwandelten sich in Flächen, Kuppen, Gipfel, Scheitel und Spitzen, die im Begriff standen, zu erröten und zu glühen.
„Setzt euch zu uns, und seht, wie die alte Paradiessage sich verabschiedet“, forderte Marah Durimeh uns auf. „Sie geht, um der Wirklichkeit Platz zu machen. Die Mitternacht ist vorüber; der neue Tag beginnt. Ich ahne, daß heut der Dschebel Muchallis seine unhörbare, aber leuchtende Stimme erhebt, um uns zu sagen, daß das Begonnene sich vollendete und das Gehoffte sich erfüllte. Man sagt, er glühe nur ein einziges Mal, von
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