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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Mitternacht bis zum Morgen; dann sei für jeden, der es sieht, der Friede auf Erden und der Friede mit Gott gekommen. Seht! Schon bildet sich das Paradies!“
    Es zeigten sich jene Lichterscheinungen, die ich vom Tempel der Ussul aus zuerst gesehen hatte. Sie entwickelten sich in genau derselben Reihenfolge und genau derselben Weise, ein Beweis, daß die Kräfte und Gesetze, denen sie ihre Entstehung verdankten, immer genau dieselben waren. Aber der Schluß gestaltete sich heut ganz anders als bisher. Daher war es plötzlich dunkel, vollständig dunkel rundum.
    „Jetzt, jetzt entscheidet es sich!“ sagte Marah Durimeh mit fast bebender Stimme, indem sie die Hände faltete. „Wird er sich zeigen oder nicht?“
    Es vergingen mehrere lange, sehr lange Minuten. Unsere Blicke waren erwartungsvoll nach Norden gerichtet; aber wir sahen nichts, gar nichts. Dennoch rief Marah Durimeh jetzt:
    „Er kommt! Er kommt! Da ist er!“
    „Wo, wo?“ fragten wir andern, weil sich unsern Augen noch immer nichts bot.
    „Höher, höher!“ belehrte sie uns. „Fast über euch!“
    Und nun ereignete sich, was mir vorher nur ein einziges Mal, aber fast in derselben Weise begegnet war, nämlich im Lauterbrunnental, beim Alpenglühen, wo ich den Gipfel der Jungfrau zuerst nicht fand und nicht sah, weil er nicht da, wo ich ihn suchte, sondern scheinbar grad über meinem Kopf erglänzte. So auch hier im Schloß von El Hadd. Nämlich wenn auch nicht ganz, aber doch so ziemlich, natürlich nur scheinbar, zu unsern Häuptern, erschien eine erst dämmernd und dann fast hellstrahlende Bergkuppe, deren goldene Konturen langsam abwärts liefen und sich wie niederfallende Feuerwerksfäden verzweigten, um die ganze plastische Gestalt dieses Berges zu zeichnen und aus dem nächtlichen Hintergrund hervorzuheben. Die lichtlosen Felder, die zwischen diesen goldenen Umrissen lagen, wurden nach und nach ausgefüllt, und zwar auch von oben herab, von Farben, die nicht der Erde, sondern einer ganz anderen Welt zu entstammen schienen, so daß ich, ohne es zu wollen, ausrief:
    „Wie ein Alpenglühen im Himmelreich!“
    „Fast richtig, fast!“ antwortete Marah Durimeh. „Das ist er; ja, das ist er, der herrliche Dschebel Muchallis, der Traum meiner Jugend, die Hoffnung meiner Jahre, die letzte Stufe, von welcher aus ich hinüberzugehen wünsche zu den Seligen auch der andern Gotteswelten! Er erscheint um Mitternacht und glüht bis gegen Morgen. So spricht die Sage, und so wird es heut sein. Sitzen wir still, und sprechen wir nicht!“
    Das geschah. Wir saßen eine Stunde und dann fast noch eine zweite. Nur zuweilen stand jemand auf und schritt für kurze Zeit in den dunklen Saal hinein, um vom Schauen und Denken auszuruhen. Draußen aber war es nicht mehr dunkel, sondern da lag, so weit man sehen konnte, ein helldämmernder, farbiger Schein, wie wenn das Tageslicht, nicht direkt von der Sonne kommend, durch rubinrotes Glas gebrochen wird. Man konnte dabei fast lesen. Da kam ein Diener und meldete, es sei Zeit. Nur noch eine halbe Stunde, so werde der Fluß die Insel überfluten. Da stand der Dschirbani von seinem Sitz auf, küßte dem Vater und der Mutter die Hand und sagte zu dem ersteren:
    „Ich danke dir, daß du das keinem anderen, sondern mir selbst erlaubst!“
    „Aber meine Bedingungen!“ mahnte der Schech. „Nimm Kara Ben Nemsi, den Scheik der Ussul und Irahd mit! Dann weiß ich dich bewahrt vor jeder Gefahr.“
    Und Marah Durimeh sprach:
    „Der begonnene Tag ist Dankestag. Sobald die Sonne erscheint, werden die Hörner der Ussul von den Zinnen dieses Hauses ertönen, und die Kirchenposaunen von El Hadd werden Antwort geben. Dann kommt das Volk der Stadt, von seinem Priestern geführt, zu euch heraufgezogen, um den Frieden zu feiern, der von hier aus durch alle Länder fließt. Dir aber ist die erste Tat dieses Friedens aufgetragen: Liebet eure Feinde; tut Gutes denen, die euch hassen! Geht hin, rettet sie! Es gibt nur einen einzigen Sieg, der wirklich Sieg bedeutet; das ist der Sieg der Liebe. Geht hinab und verzeiht! Und vor euch her gehe Gottes Segen!“
    „Und komm so wieder, wie du von mir gehst!“ bat seine Mutter. „Ich will dich nicht am Abend gewonnen haben, um dich am Morgen schon wieder zu verlieren!“
    Wir, die wir vom Schech genannt worden waren, verließen mit ihm den Saal und das Schloß. Draußen vor dem Tor standen vier gesattelte Ussulpferde; eines davon war Smihk, der Dicke. Unser Ritt war also vorbereitet. Die drei

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