Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Lichterdillen aus Holz zu drehen. Bei einem Schlosser wurden sie aus Draht bestellt. Einige Bäcker und Konditoren mußten verschiedene Probeteige backen. In einer Klempnerwerkstatt wurden dünne Blechformen in Auftrag gegeben, um Engel, Sterne und verschiedene andere Figuren in Teig auszustechen. Ein Farbenhändler wurde angewiesen, diese Figuren anzumalen bzw. mit Gold- und Silbertupfen zu versehen. Kurz, es gab Arbeit über Arbeit.
    Als punkt drei Uhr der alte, liebe, so leicht zu begeisternde Basch Nasrani kam, um sich bei uns zu bedanken, fand er uns in allergrößter geschäftlicher Tätigkeit. Er kannte die hiesigen Verhältnisse genau und war geradezu entzückt, als er hörte, um was es sich handelte. Er schaute sofort in die Zukunft. Er jubelte. Er weissagte, daß aus dieser primitiv beginnenden Weihnachtsarbeit sich für die hiesigen Christen eine Zukunft entwickeln werde, die wohl imstande sei, alles, was die Vergangenheit an Druck und Leid gebracht hatte, wieder auszugleichen. Nur müsse man sofort und kräftig zufassen und keinen Vorteil, der sich biete, wieder aus den Händen geben. Er bat um die Erlaubnis, sich an unserer Arbeit beteiligen zu dürfen, und ich gab sie ihm mit Freuden. Er kannte so viele Menschen und wußte für alle Fälle die beste Auskunft und den besten Rat. Erst durch ihn kam die nötige Klarheit und Übersicht in das, was wir erst berechneten und dann taten.
    Die Hauptsache für heut war die Anfertigung des allerersten Weihnachtsbaums, also sozusagen des Modellbaums, der dem Mir gezeigt werden sollte. Wenn dieser ihm gefiel, so hatten wir gewonnen. Ich machte mich also so zeitig wie möglich an die Herstellung, die oben in der Wohnung des Mir vor sich gehen sollte. Es wurde mir hierzu ein sehr geräumiges Zimmer angewiesen, und ich bat, bis ich fertig sei, ja nicht gestört zu werden. Das wurde mir zugesagt. Ich beschloß, drei Bäume zu schmücken, einen großen und zwei kleine. Die Lichter kaufte ich von einem Mumedschy (Lichtzieher), der in der Nähe des Schlosses seinen Laden hatte. Als ich ihm sagte, daß ich, falls sie gut seien, ihm die Anfertigung vieler Tausender übergeben werde, bekam ich sie umsonst. Nun wurden Früchte vergoldet, Sterne und Beutel und andere Dinge aus buntem Papier geschnitten, Girlanden aus weißen, roten und blauen Fäden geflochten. Die fürstliche Küche hatte mehrere riesige Nudelteige zu liefern, aus denen ich Sonnen, Monde, Sterne, Engel, Drachen und allerlei andere Gebilde aus der Tertiärzeit der menschlichen Phantasie schnitt. Als diese teils schönen, teils schaurigen Sachen über Feuer hart gebacken waren, bekamen Halef und der Oberpriester die Pinsel in die Hand, um sie nach Kräften zu bemalen. Sie taten das, wie ich gleich voraussagen will, nicht nur zur allgemeinen Zufriedenheit, sondern sogar zur lauten Bewunderung von der Seite des Mir und seiner Familie. Ich aber wickelte mir inzwischen mit der rechten Hand fleißig Draht um den linken Daumen, um die achtzig Dillen herzustellen, die nötig waren. Der Abend hatte sich schon längst eingestellt, als wir diese Vorbereitungen vollendeten. Die Sachen brauchten bloß noch an die Bäume gehangen zu werden. Ich zeigte dem Hadschi und dem Basch Nasrani, wie das zu machen sei, und ließ auch noch einen Diener kommen, uns zu helfen. Diese Beschleunigung war nämlich geboten, denn der Mir ließ mir sagen, daß seine Kinder absolut nicht mehr warten wollten, die Schagarat el Muhallis (Bäume des Erlösers) zu sehen. Jedenfalls aber war er selbst der alte, große Junge, der nicht länger warten konnte!
    Der große Baum wurde in die Mitte der einen Wand gestellt, ihm zu beiden Seiten die kleineren. Indem ich den hierzu nötigen Raum mit den Augen abmaß, sah ich in der einen Ecke ein hölzernes Möbel stehen, dessen Form keine hier gewöhnliche war. Ich fragte den Diener, was es sei.
    „Eine Musik“, antwortete er.
    „Was für eine Musik?“
    „Ich weiß es nicht, und niemand weiß es. Es sind weiße und schwarze Tasten; aber man kann darauf drücken, sosehr man will, es ist nichts zu hören. Der Emir von Bochara hat sie unserm Mir geschenkt; aber noch kein Mensch hörte sie singen. Sie ist stumm!“
    Ich öffnete. Es war ein altes, sogenanntes Regalharmonium aus früherer Zeit. Man hatte nur auf die Tasten gedrückt, die Tritte unten aber nicht beachtet. Darum war sie ‚stumm‘, aber auch unverletzt geblieben. Als ich probierte, versagte kein Ton. Wie mir das zustatten kam, gerade jetzt,

Weitere Kostenlose Bücher