25 - Ardistan und Dschinnistan II
unter Weihnachtsbäumen! Der Diener schrie vor Überraschung laut auf, als die schönen, klaren Zungenstimmen erklangen. Zugleich erschien ein anderer Diener, um uns zu sagen, daß die Herrschaft uns nur noch einige kurze Minuten Zeit gebe; die Kinder könnten sich unmöglich länger gedulden! Da wurden schnell die Lichter in Brand gesteckt und die ‚Musik‘ vor den großen Baum gerückt. Durch mehrere übereinandergelegte Kissen bereitete ich mir den zum Spielen nötigen Sitz; dann sagte ich den beiden Dienern, daß die Herrschaft kommen könne. Halef und der Oberpriester zogen sich bescheiden in je eine Ecke zurück. Und da hörte ich auch schon die Schritte des Mir, der in seiner Ungeduld seiner Frau und seinen Kindern voraneilte.
Sobald er eintrat, ließ ich ein kurzes Vorspiel erklingen und begann dann, unser altes Weihnachtslied zu singen: „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!“ Ich bin kein Sänger, und habe auch nur eine ganz gewöhnliche Baritonstimme; aber die Wirkung war trotzdem eine ganz ungewöhnliche. Man kennt den Einfluß unserer deutschen Lieder selbst auf Leute, welche die deutsche Sprache nicht verstehen. Er bewährte sich auch hier. Der Mir war zunächst darüber sehr erstaunt, daß seine bisher stumme ‚Musik‘ jetzt plötzlich ‚singen‘ konnte. Sodann wirkte der lichtstrahlende und reichbehangene Baum auf ihn. Vielleicht war es in seinem Leben der erste poetische Anblick, der sich ihm bot und dessen Hauch er tief in seinem Innern spürte. Und sodann das Lied, dessen Worte er zwar nicht verstand, dessen Seele aber zu seiner eigenen Seele sprach. Kaum hatte er nur einen Augenblick gehört und gesehen, so drehte er sich unter der Türe zurück und winkte. Da folgte ihm zunächst seine Frau. Sie war unverschleiert und ebenso einfach gekleidet wie er. Ihr ernstes, außerordentlich sympathisches Gesicht besaß keinen einzigen Zug der von Glück erzählen konnte. Sie blieb unter der Türe stehen. Ihre Augen wurden groß und immer größer. Ihre bleichen Wangen röteten sich. Ihre Stirne schien breiter und höher zu werden und leuchten zu wollen wie in Strahlen stehendes Elfenbein. Sie trat einen Schritt näher, noch einen und noch einen und sank dann, obgleich ihr Gesicht hoch erhoben blieb, langsam auf die Knie nieder und faltete, als ob sie beten müsse, die Hände.
Und da kamen auch die Kinder. Erst zwei Stück und dann wieder zwei Stück, je ein Knabe und ein Mädchen, die einander führten. Allerliebste Buberln und Dirndln! Der Älteste vielleicht neun und die Jüngste vier Jahre alt. Als sie die Mutter knien sahen, knieten auch sie nieder, je zwei und zwei zu ihrer Rechten und Linken. Aber ihre Augen strahlten vor Erstaunen und vor Glück, und ihre Mäulchen sperrten sich immer weiter und weiter auf. Da war ich mit dem ersten Lied fertig, spielte einen Übergang zur anderen Melodie und sang dann ‚Stille Nacht, heilige Nacht‘. Das schien noch besser zu wirken als das erste. Besonders die Tonfolge und Wiederholung ‚schlafe in himmlischer Ruh‘ riß die Kinder hin. Schon bei der zweiten Strophe begann der kleine, drollige Knabe mitzusingen, natürlich nur auf trallerala. Und bei der dritten Strophe fielen auch der größere Knabe und das größere Mädchen ein. Das kleinste Dirndel aber wartete fein, bis ich fertig war, sprang dann auf, kam zu mir hin und sagte:
„Du, Fremder, wem gehören denn diese Bäume? Sind sie alle dein?“
Da erhob ich mich von meinem Sitz und antwortete:
„Sie gehören nicht mir, sondern euch. Den großen da schenkt euch der Vater, und die beiden kleinen habt ihr von der Mutter bekommen.“
„Ist das aber auch wahr?“
„Ja, gewiß!“
Nun erhob sich großer Jubel. Die Buben eilten zur Mutter, um sich bei ihr zu bedanken, und die Dirndeln kletterten an dem Vater in die Höhe, was diesem wohl noch nie geschehen war. Er half ihnen dabei, bis er beide auf den Armen hatte und sie an das Herz drücken konnte. Ich aber schlich mich hinaus und gab Halef und dem Oberpriester einen Wink, mir zu folgen. Wir gingen nach meiner Wohnung.
Dort half mir der Basch Nasrani bei einem Kostenanschlag für den Mir, um nachzuweisen, wieviel Anlagekapital die Festproduktion erforderte und auf wieviel Gewinn man rechnen konnte. Wir kamen dabei sogar auf eine Festschrift zu sprechen, für welche der Mir zu begeistern war. Sie wirkte jedenfalls nachhaltiger als eine vorübergehende Predigt, und da der Oberpriester die Festrede im Dom zu halten
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