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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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eine beschränkte Zahl von Kerzen brannte, konnte ich seinen Wert noch nicht erkennen. Aber dann, als Tausende von Flammen und Flämmchen leuchteten und ihr Licht den Stein durchdrang, wie die Offenbarung ein erst nur halb durchschautes Geheimnis durchdringt, da erkannte ich wohl den hohen Wert und die Seltenheit dieses herrlichen, tropfsteinartigen Aragonites.
    Wer war der Meister gewesen, der diese drei Figuren geschaffen hatte? Zwar als Künstler seiner Zeit schon weit vorausgeschritten, hatte er als Christ leider immer noch an Formen und Gedanken gehangen, die auf dem Feld von Bethlehem überwunden worden waren. Es schien, als ob der Mann ein hochbegabter Lama gewesen sei, dem es gelungen war, sich herüber in das Christentum zu retten und den späteren Zeiten sein Bekenntnis in diesen Werken aufzubewahren. Wir befanden uns hier nicht inmitten der europäischen ‚Hochintelligenz‘. Ich war nicht berechtigt, hohe künstlerische Ansprüche zu erheben. Und auch als Christ war ich hier in eine Diaspora, in eine Ferne gestellt, die mir nicht erlaubte, kritisch zu sein. Ich fühlte nur, daß die Anstrengung ehrlich und rührend war, die es dem Künstler möglich gemacht hatte, seinen Glauben darzustellen, obgleich seine Kunst noch selbst zu erlösen war. Es gelang uns, noch vor der letzten Stunde fertig zu werden und auch den Altar derart mit Bäumen zu schmücken, daß es nur eines Zündfunkens bedurfte, ihre Lichter alle in Brand zu stecken. Der hoch darüberstehende Stern von Bethlehem war bedeutend vergrößert worden.
    Eben als wir diese Arbeit vollendet hatten, kam ein Bote, durch den wir zu dem Mir befohlen wurden. Soeben sei jemand angekommen, den er uns zeigen müsse, ließ er uns sagen. Wen trafen wir bei ihm? Die beiden Söhne des Scheiches der Ussul, die in der ‚Stadt der Toten‘ gefangengehalten und jetzt wieder zurückgeholt worden waren! Der Mir hatte ihnen ehrlich gesagt, wem sie ihre Befreiung eigentlich zu verdanken hatten, und als sie hierzu noch erfuhren, daß wir Gäste ihrer Eltern gewesen seien, war ihre Freude, uns zu sehen, doppelt aufrichtig. Sie bekamen den Befehl über die Schloßwache zurück und hatten im Schloß zu wohnen. Es verstand sich ganz von selbst, daß Hadschi Halef sich sofort in Freundschaft für sie erwärmte. Bot sich ihm durch sie doch reiche Gelegenheit, in der Erinnerung an verflossene Groß- und Heldentaten zu schwärmen!
    Als die Stunde nahte, in welcher der Gottesdienst beginnen sollte, versammelten sich alle die Personen, die ich weiter oben ein klein wenig ironisch als ‚Hofstaaten‘ bezeichnet habe. Sie taten das in dem eigentlich zur Kirche gehörigen Prunksaal, in dem wir von dem Mir empfangen und dann von unseren Hunden gestört worden waren. Der geistliche Herr, Halef und ich, wir drei, mußten bei dem Mir und seiner Familie bleiben, bis der erste Kanonenschuß sich hören ließ und sofort hierauf die Kirchentüren geöffnet wurden. Alles, was christlich war, versuchte in dem immer noch von nur wenigen Kerzen erleuchteten Raum einen Platz zu finden. Wer draußen bleiben mußte, hatte sich damit zu trösten, daß auch noch für morgen und übermorgen dieselbe Feier vorgesehen war. Das vollzog sich alles in leidlicher Ruhe und ohne störendes Gedränge. Der Mir aber setzte sich mit seiner Frau, seinen Kindern und uns dreien an die Spitze seiner Offiziere, Hof- und Staatsbeamten, um in einem langen, feierlichen Zug mit ihnen nach der für ihn und sie errichteten Tribüne zu ziehen. Wie stolz mein kleiner Halef war, gleich hinter dem ‚Herrscher‘ gehen zu dürfen!
    „Und ich bin doch heute weiter nichts, weiter nichts“, flüsterte er mir in scheinbarer Bescheidenheit zu. „Ich trete ja nur die Orgel!“
    Er hatte nämlich immer, wenn ich mit Abd el Fadl und Merhameh übte, die Bälge getreten, weil wir keine anderen störenden Personen dabei haben wollten. Er nannte das ‚die Orgel treten‘. Als ich ihm sagte, daß es ‚die Bälge treten‘ heiße, fragte er mich:
    „Gehören die Bälge zur Orgel oder nicht?“
    „Ja, sie gehören zu ihr“, mußte ich gestehen.
    „Gut! So trete ich die Orgel! Bedenke doch: Wenn ich, der Scheik der Haddedihn, die Orgel trete, so vergebe ich mir nichts. Wenn ich aber nur die Bälge trete, so tue ich etwas Unwürdiges und Lächerliches, dessen ich mich schämen muß!“
    „Aber, lieber Halef, die Bälge werden nur getreten, und die Orgel wird gespielt!“
    „So drehen wir es einmal herum: Wir sagen, ich trete die

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