25 - Ardistan und Dschinnistan II
recht? Was rätst du mir?“
„Nichts“, antwortete ich, infolge seines ersten Satzes sehr kühl. „Es handelt sich nicht um meine Ehre, sondern um die deinige!“
„Du hast keine Bitte?“
„Bitte? Nein. Du bekamst von uns das ganze, große, herrliche Fest geschenkt. Was könnten da wohl wir, nämlich wir, zu bitten haben? Ob du es dir verdirbst, ist deine Sache!“
Ich tat, als ob ich mich entfernen wollte. Da hielt er mich mit einer Handbewegung zurück und sprach:
„Das klingt sehr stolz von dir!“
„Stolz nicht, sondern wahr und ehrlich, weil ich dich kenne. Du bist kein kleiner, sondern ein großer Mensch. Ich wünsche, daß du es bleibst!“
„Wozu dieses Lob?“ fragte er mit dem Gesicht eines Schachspielers, der einen Verlust maskieren will. „Ich habe euch die Kirche überlassen, natürlich auch alles, was sich darin befindet. Wollt ihr den Filz nicht haben, so schafft ihn fort!“
„Du erlaubst es? Wirklich, wirklich?“ fragte da der Oberpriester schnell.
„Ganz selbstverständlich! Ja! Und dem Wächter des Turms habt ihr zu sagen, daß ich nach Verlauf von zwei Stunden kommen werde, um von da oben aus das Bild der Stadt am Weihnachtsabend zu schauen. Er hat für Licht und Fackeln zu sorgen und vor allen Dingen auch dafür, daß das Räderwerk der großen Glocke in voller Ordnung ist!“
„Wir läuten, Vater?“ fragte das kleinste Dirndl.
„Ja, ihr läutet“, antwortete er. „Wir kehren vorher nach hierher zurück, um euren Hadschi Halef abzuholen. Der muß mit hinauf, zur Strafe dafür, daß er es wagte, gerade die größte aller Glocken in die kleinsten und liebsten aller Köpfe zu setzen, die ich kenne!“
„Er muß mit hinauf, mit hinauf!“ jubelten sie, indem sie sich mit Vater und Mutter entfernten. Wir aber machten uns mit ebenso großem, wenn auch weniger lautem Triumph an das nicht ganz leichte Werk, in der kurzen Zeit, die uns dafür verblieb, den Hochaltar von seiner Hülle zu befreien und seine Ausschmückung der übrigen Dekoration der Kirche harmonisch einzufügen. Wir wurden hierdurch so sehr in Anspruch genommen, daß wir nach zwei Stunden gar nicht darauf achteten, daß Halef abgeholt wurde und uns verließ, um mit dem Mir und seinen Kindern auf den Turm zu steigen. Nach einiger Zeit erhob sich draußen, rund um das Schloß, ein stürmisches Rufen und Frohlocken, welches sich nach allen Richtungen weiterpflanzte, von Platz zu Platz, von Straße zu Straße, von Gasse zu Gasse. Die Veranlassung hierzu war der pfiffige Hadschi, der, ohne es uns wissen zu lassen, für die Verbreitung der Nachricht gesorgt hatte, um welche Zeit der Mir mit seinen Kindern auf dem Turm erscheinen werde, um die Stadt im Glanz der vieltausend Lichter zu sehen, die sich heut abend durch die Straßen bewegten. Als nun hoch oben die Laternen aus dem Inneren des Turmes auftauchten, wußte man, daß der Herrscher jetzt herunterschaue und grüßte freudig hinauf. Wie schnell er sich die Herzen so vieler Menschen gewonnen hatte! Und wie leicht! War er der Mann, der das zu würdigen verstand?
Als die Hülle des Hochaltares gefallen war, zeigte es sich, daß er dem Bild, welches ich mir von ihm gemacht hatte, in keiner Weise glich. Er war schöner, viel schöner als dieses Bild. Er war aus einem mir unbekannten, sehr harten, goldbräunlichen Holz geschnitzt, dem ein leicht bemerkbarer Veilchenduft entströmte. Die Schnitzereien stellten einen zweigeschossigen Tempel dar, dessen Architektur unten altindisch begann und dann, aufwärtssteigend, erst nach buddhistischen und später nach neuorientalischen Formen strebte. Das untere Geschoß stellte das Stübchen Mariens in Nazareth dar, und zwar in dem Augenblick, als der Engel zu ihr trat, um ihr die Geburt des Heilands zu verkünden. Die Unterschrift bestand in den Worten: ‚Der wird der Sohn des Allerhöchsten genannt werden.‘ Im Obergeschoß war der über Erde, Wolken und Sterne schreitende Christus dargestellt, von der Unterschrift getragen: ‚Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.‘ Es gab also nur diese drei Figuren. Sie traten infolge des Materials, aus dem sie gemeißelt waren, in geradezu köstlicher Weise aus der dunkleren Umrahmung der Holzschnitzerei hervor, als ob sie zu zeigen hätten, daß sie auch künstlerisch von einer viel höheren Welt zu sprechen hätten als diese. Dieses Material war ein weißer Kalkstein, und doch kein Marmor. Mir schien er viel edler als Marmor zu sein. Sehr selten! Jetzt, wo im weiten Raum nur
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