25 - Ardistan und Dschinnistan II
Zartheit und Lieblichkeit, sondern durch die Macht der Töne auf diese Menschen da unten, die noch niemals eine Orgel gehört hatten, einzuwirken, und das schien mir zu gelingen. Die Augen aller Anwesenden hingen an dem Orgelchor, und auch draußen vor den weitgeöffneten Türen, wo Kopf an Kopf eine schier undurchdringliche Menge stand, gab es, wie man mir später berichtete, eine atemlose Stille, die durch kein leises oder gar lautes Wort unterbrochen wurde. Das war nicht etwa die Folge meiner Kunst und Fertigkeit; oh, mit der war und ist es gar nicht weit her! Sondern die beiden genannten großen Meister sprachen, und das, was sie sagten, mußte für Hörer dieser Art und dieses Schlages überwältigend sein.
Indem ich während des Spiels nach der Seite schaute, sah ich, daß der Schech el Beled von El Hadd mit seinen drei Männern unter den Christbäumen hervorgetreten war und sich der Orgel genähert hatte. Sie schienen darüber, daß es hier eine Orgel gab und auch darüber, was und wie ich es spielte, nicht im geringsten verwundert zu sein; aber daß sie sich über die Wirkung freuten, das war ihnen anzusehen. Sie erschienen mir überhaupt so interessant, daß meine Augen sich wohl öfter, als nötig war, ihnen zuwandten, und ein ähnliches Interesse schien man auch mir entgegenzubringen, denn ich bemerkte, daß auch ich von ihnen beobachtet wurde, aber nicht mit feindlichen, sondern mit freundlichen Augen, wie ich hinzufügen will. Sie waren alle ganz in dünnes, sich eng an die Glieder schmiegendes Leder gekleidet, das heißt, in zwar gegerbte, aber nicht gefärbte, mittelbreite Riemen, die quer wie Sandalenschnüre liefen und so fest schlossen, daß sie, wie festgewebtes Zeug keinen Zwischenraum zwischen sich ließen und den Körper lückenlos bedeckten. An den Füßen gab es Sandalen, als Kopfbedeckung leichte weiße Amajim (Turbane), die sie jetzt aber abgenommen hatten und in den Händen hielten. Sie waren ja Christen. Von den Schultern hingen ihnen lange, dünne Mäntel, deren jeder mit einer Kapuze versehen war. Sie waren schöne Männer, zwar nicht so riesig gebaut wie die Ussul, aber doch von so hoher, edler, kräftig ebenmäßiger Figur, wie man sie unter gewöhnlichen Menschen äußerst selten findet. Auch ihre Gesichtszüge waren schön, besonders die des Schech el Beled, aber von einer mir bisher unbekannten, schwer zu beschreibenden Schönheit. Sie war nicht das; was man als klassisch bezeichnet, sondern noch tiefer, durchgeistigter und ausdrucksvoller als dieses. In diesen Gesichtern sprachen sich Selbstbewußtsein, Energie und Kühnheit in auffallender Deutlichkeit aus, ohne daß der untere Teil, der die Kauwerkzeuge enthält, besonders kräftig hervorzutreten hatte. Die Lippenführung war fast frauenhaft lieblich zu nennen. Es lagerte da eine ganze Fülle von Wohlwollen, Güte und Menschenfreundlichkeit. Was sich über dem Mund erhob, Nase, Wangen, Augengegend und Stirn, war durchgeistigt und durchwärmt von jener ruhigen Klarheit, zu der es nur solche Menschen bringen, bei denen Kopf und Herz im vollsten Einklang stehen und die hierdurch gewonnene Lebensanschauung nicht nur eine Frucht des Denkens, sondern auch des Fühlens und Empfindens ist. Besonders zogen die großen, reinen, aufrichtigen Augen des Schech el Beled die meinigen immer wieder zu ihm hinüber. Warum strahlten sie so seltsam? Kam das von innen heraus oder von außen? War es die Weihnachtsfreude und Weihnachtsseligkeit seines Innern oder nur der Reflex des Weihnachtsglanzes, der von den zahllosen Kerzen strömte, die hier in der Kirche brannten? El Hadd ist ein kleines Gebirgsländchen, welches, nur äußerst schwer zugänglich, an der südlichen Grenze von Dschinnistan liegt. Seine Bewohner werden infolge der hohen, abgeschlossenen, einsamen Lage ihrer stein- und felsenreichen Heimat als außerordentlich arm bezeichnet. Diese vier Männer aber machten trotz ihrer einfachen Kleidung ganz und gar nicht den Eindruck, als ob sie sich von dieser Armut bedrückt oder gar niedergeschlagen fühlten. Ich verweile bei ihrer Beschreibung absichtlich länger, als die Situation es mir eigentlich erlaubt, und ich habe meine guten, besonderen Gründe dazu, die ich nur deshalb hier nicht näher bezeichne, weil sie baldigst ganz von selbst in die Augen fallen werden.
Die vorliegenden Verhältnisse hatten den Oberpriester veranlaßt, den Gottesdienst möglichst einfach zu gestalten und auf allen liturgisch-künstlerischen Schmuck für jetzt
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