25 - Ardistan und Dschinnistan II
Orgel, und du spielst die Bälge. Dann ist meine Ehre gerettet, und das kannst du mir doch wohl zuliebe tun!“
Als die Herrschaften sich gesetzt hatten, gingen wir beide hinüber nach dem Orgelchor, in dessen Hintergrund er verschwand, um seinen Pflichten als ‚Kalkant‘ nun zu obliegen. Abd el Fadl und Merhameh standen schon da, ganz vorn an der Brüstung. Sie hatten sich nicht am Zug beteiligt, sondern es vorgezogen, diese ihre Plätze ganz unbemerkt und bescheiden aufzusuchen. Da standen auch die Sänger und Sängerinnen, die vom Oberpriester hierher postiert worden waren, weil sie die Lieder und Melodien, welche gesungen werden sollten, kannten und die Ungeübten mit sich fortzureißen hatten.
Gleich als ich den Chor auf der einen Seite betrat, sah ich drüben auf der andern Seite vier Männer stehen, denen ich keine Beachtung schenkte. Da, eben als ich mich auf die Orgelbank setzte und die Register zu wählen begann, trat Abd el Fadl zu mir und fragte:
„Siehst du die vier Fremden dort unter den letzten Weihnachtsbäumen, Effendi?“
„Ja“, nickte ich.
„Das ist der Schech el Beled (Bürgermeister, Schulze, Ortsvorsteher) von El Hadd mit seinen drei Begleitern. Er kam erst heut hier an und wünscht, in der Nähe stehen zu dürfen, wenn unser Duett erklingt. Erlaubst du es?“
„O wie gern!“ antwortete ich. „Übrigens bin nicht ich der Herr, der hier zu bestimmen hat. Gottes Häuser müssen für jedermann offenstehen. Was ist der Schech? Mohammedaner?“
„Nein, sondern Christ. Ich werde dich bitten, einmal mit ihm zu sprechen, denn er ist ein guter Bekannter von mir, und ich will –“
Er hielt mitten in seiner Rede inne, weil er unterbrochen wurde, und zwar auf eine nicht ganz gewöhnliche, beinahe heitere, aber doch ganz in die frohe Feststimmung passende Weise. Er hatte leise gesprochen. Es sprach überhaupt jedermann leise, aus Rücksicht auf den heiligen Ort, an dem man sich befand. Nur die Kinder des Mir machten hiervon eine Ausnahme. Sie fühlten nichts von dieser frommen Scheu. Ihr höchstes Interesse war auf den Augenblick gerichtet, an dem nach dem letzten Kanonenschuß ihre große Glocke ihre Stimme zu erheben hatte. Dieser Moment war jetzt gekommen. Der Untergebene des Oberpriesters trat an den Hochaltar, um den Zünder, der von hier aus überallhin leitete, zu entflammen. Als man das sah, trat augenblicklich eine tiefe Stille der Erwartung ein, bei den Kindern aber gerade das Gegenteil. Sie waren zu erregt, als daß sie auch hätten schweigen können. Als der letzte Kanonenschuß zu hören war, rief das kleinere Mädchen so laut, daß jedermann es hörte:
„Das war der letzte Schuß! Ich habe gezählt!“
Da stiegen die Funken vom Zünder aus nach allen Richtungen empor, so daß jedes Licht seine Flamme bekam. Man war zunächst wie geblendet.
„Nun brennen alle Bäume, alle, alle!“ jubelte der jüngere Knabe, indem er die Hände bewundernd zusammenschlug.
„Nun läuten wir! Der Vater hat es erlaubt!“ verkündete der größere Knabe.
„Die große Glocke!“ stimmte das ältere Mädchen bei.
Die anderen Glocken begannen, die große aber noch nicht. Da hörte man die helle, geringschätzige Stimme des Nesthäkchens: „Das sind nur die kleinen Glocken! Die werden nur von Männern geläutet! Aber die große, die allergrößte, die läuten wir Kinder, wir!“
Und als ob diese größte aller Glocken nur auf diese Worte des kleinsten der Kinder gewartet hätte, erhob nun auch sie ihre tiefe gewaltige Stimme, die noch kein jetzt Lebender zu hören bekommen hatte.
Da riß es den Mir von seinem Sitz empor. Er erkannte plötzlich die ganze, große Bedeutung dieses Augenblicks, an welchem in Erfüllung ging was längst verkündet war. Er breitete die Arme aus, als ob er sich hingerissen fühle und etwas sagen wolle, doch hielt ich es für geraten, dies zu verhindern. Ich hatte fast alle Register gezogen und griff schnell mit Händen und Füßen in die Klaviatur und in das Pedal. Ich hatte das wohlbekannte große Halleluja von Händel als Einleitung gewählt. Als der erste, volle Akkord brausend und alles mit sich fortreißend zur hohen Kuppel stieg, war es, als ob alle Lichter erzitterten und alle Augen und alle Herzen mit zur Höhe stiegen. Der Mir aber ließ sich langsam auf seinen Sitz niedersinken und starrte zur Orgel herüber, bis das Halleluja zu Ende war und ich zu Beethovens ‚Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre‘ überging. Es galt vor allen Dingen, nicht durch
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