25 Boys
solle den Kapitän fragen, der müsse das doch wissen.
Die Situation kotzt mich an und ich sage in die Runde: „War euch je danach, unter einen Tisch zu kriechen und dort eine Woche zu bleiben?“
Ratlose Gesichter blicken mich an und die Antwort, die sie mir geben, hätten sie sich sparen können. Mit einem halben Ohr höre ich hin, wie mir Luca erklärt, dass sein Großvater während einer Kaffeefahrt gestorben sei, als er sich aufgeregt habe, dass Oma wieder Schmuck über den Warenversandkatalog bestellt habe. Dimo, der blonde Engel ist von der Geschichte gerührt und hat meine Frage schon vergessen Schrägstrich verdrängt und Mr. A guckt mir tief in die Augen und fragt mich, ob ich genervt bin. Nein, du Hirni, wir haben eine Leiche an Bord. Genervt kann man meinen Zustand deswegen nicht nennen, erschrocken vielleicht, aber nicht genervt.
„Nein, es geht mir gut, danke“, antworte ich, um aus meinem vorher gestellten Fragesatz einen Aussagesatz zu machen. Und Punkt.
Der Käpt’n findet sich auch im Speisesaal ein und mit ihm der Schiffsarzt, der wahrscheinlich ebenso seines Postens enthoben worden ist, weil er uns Callboys nicht mehr auf Krankheiten untersuchen muss. Er schnappt unwillkürlich nach Luft und sieht ebenso wie Hackennase, die hinter ihm hergeht, erschöpft aus. Ezel, den ich nun wieder im Visier habe, scheinen die Augen wieder zu tränen, was nicht verwunderlich ist. Die Stühle beginnen sich langsam wieder zu leeren und ich hole mir vom Buffet noch eine Schale Suppe und Brot. Ich tupfe meine Lippen mit der bereitgestellten Papierserviette ab, bevor ich von neuem meine Schale Suppe zu löffeln beginne; bröckle Bord hinein und halte solange den Atem an, bis ich nicht mehr kann und sage: „Ich fühle mich hilflos.“
Sofort – ohne dass ich es will – umarmt mich Mr. A, der mir in mein Ohr flüstert: „Im Grunde gibt es keinen Anlass mehr, enthaltsam zu sein.“ Wahre Worte, denke ich mir. Aber ich sage ihm, dass man uns geraten hat, solange die Liste, also die auferlegten Regeln, einzuhalten, solange wir noch keine endgültige Antwort haben, wie man uns entschädigt. Luca und Dimo schauen auf, stecken die Köpfe einander zu und grinsen mich dann an. Mr. A bekommt davon nichts mit. Er ist damit beschäftigt mich geil zu machen. Aber ich will jetzt nicht geil sein, weil ich das nötige Kleingeld, das man mir versprochen hat, wenn ich die Liste einhalte und meine Dienste erweise nicht verlieren will.
„Es tut mir leid, aber ich will das jetzt nicht tun und darüber reden auch nicht“, sage ich Mr. A, der sich gerade wieder auf seinen Sessel zurücksetzt und sein Tomaten-Paprika-Brot verdrückt.
Weitere Callboys stehlen sich von den Tischen aus dem Speisesaal fort.
Ezel fangt zu schluchzen an und Mr. A ergreift die Chance und geht zu ihm hinüber und b eginnt ihn zu trösten. Schleimer. Und wie betäubt schüttle ich den Kopf. Szenenwechsel. Aus den Boxen kommt ruhige Loungemusik; die Cranberries mit Ode to my Family . Obwohl es taghell ist und wir nicht unter Deck sind, sind ein paar Lampen eingeschalten, die flackern. Sie tauchen die Atmosphäre in ein samtweiches Licht. Ezel schließt seine Augen, sickernde Tränen sind zu sehen, sein Kopf ist leicht zur Seite geneigt, eine Hand zum Mund geführt und die Finger sind zur Faust geschlossen, in die er hineinbeißt. Mr. A nimmt seinen geneigten Kopf und führt diesen zu seiner Brust, er hat sich neben ihn hingesetzt, weil einer der Jungs aufgestanden ist und sagt ihm, dass alles wieder gut werden wird.
Nachdem ich diese Szenerie beobachtet habe, bestelle ich mir bei Dannii eine Flasche Wodka. Sie bringt sie mir ohne Widerrede. Luca und Dimo se hen mir dabei zu, wie ich die Flasche öffne und mir ein Glas einschenke.
„Es gibt keinen Grund nicht zu trinken“, sage ich und Luca ist derselben Meinung. Sein blonder Engel ist in dieser Hinsicht nicht konform mit ihm und protestiert, aber Luca – so wie ich ihn kenne – lässt er sich ein gutes Glas hochprozentiges Irgendetwas nicht entgehen. Er trinkt mit mir ein Gläschen und dann, um den Seelenfrieden seiner geheimen Beziehung nicht zu zerstören und Luca nicht zu noch mehr Hochprozentigem zu verführen, stehe ich vom Tisch auf und gehe hinaus. Nur ich und die Flasche Wodka verlassen zusammen den Speisesaal.
Draußen setze ich mich auf einen der Stühle nieder und sehe ein wenig den Himmel über den Atlantik an. Dann trinke ich weiter. Und ich denke
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