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25 Stunden

25 Stunden

Titel: 25 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Benioff
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die Platten auf dem Tisch und nimmt die Deckel ab: ein traurig vor sich hin dampfender Gemüseberg für Jakob, ein glitzernder Haufen Fleischstücke für Slattery.
    Jakob bricht sein Paar Holzstäbchen entzwei. »Und warum ausgerechnet bei Zweiundsechzig?«
    »Dort rangierst du eben. Das ist eine hochkomplizierte Berechnung.«
    »Ach so, das ist eine hochkomplizierte Berechnung. Na, dann ist's ja gut. Wenn es nur eine hochkomplizierte Berechnung ist. Und wo rangierst du? Was ist bei dir herausgekommen?«
    »Neunundneunzig«, sagt Slattery, greift sich mit den Fingern einen Kloß und taucht ihn in den Sojasoßensee auf seiner Platte.
    »Donnerwetter. Und wer hat diese Berechnungen angestellt?«
    »Ich.«
    »Ach so, verstehe. Du hast diese Berechnungen angestellt. Und du rangierst bei Neunundneunzig. Ist ja hochinteressant. Und worauf basieren diese Berechnungen? Welche wissenschaftliche Grundlage haben...«
    »Jetzt reg dich bloß nicht auf«, sagt Slattery durch einen Mundvoll Schweinefleisch und Lauch. »Es ist ein System. Das heißt doch nicht, dass du irgendwie minderwertig bist.«
    »Als Junggeselle eben.«
    »Nein. Da bist du besser als der Durchschnitt.« Slattery bläst Dampf in die vor den Mund gehaltenen Hände. »Heiß. Du hast dir diesen Haufen Grünzeug bestellt, und jetzt isst du gar nichts.«
    Jakob spießt ein Stück Ruten-Kohl mit dem Ess-Stäbchen auf. »Und was sind die Kriterien?«
    »Willst du auch einen Kloß...? Also, zunächst einmal Geld. Du machst keins. Damit kommst du schon mal nicht unter die oberen zehn Prozent.«
    »Die oberen zehn Prozent von was? Die oberen zehn Prozent der Börsenzocker?«
    »Die oberen zehn Prozent, Punkt. Zweitens, du bist zu klein. Keine Beleidigung, aber eine Menge Frauen wollen nicht mit jemandem zusammen sein, der kleiner ist als sie. Warum regst du dich so auf? Das ist eine Tatsache. Wie groß bist du, einsfünfundsechzig?«
    »Ich bin einssiebzig.«
    »Du bist nicht einssiebzig.«
    Jakob schleudert mit seinem Ess-Stäbchen ein Stück Ruten-Kohl nach Slatterys Gesicht; Slattery fängt das Blatt in der Luft auf und stopft es sich in den Mund.
    »Leck mich«, sagt Jakob, aber es klingt nicht. Wenn Jakob flucht, dann mit Verzögerung; jedes Leckmich und Scheißdrauf kommt als bewusst ausgewählt rüber. In Montys und Slatterys Rede wimmelt es von Flüchen, und bei ihnen klingt es ganz natürlich.
    Slattery zuckt die Schultern. »So ist das eben, Mann. Lass dich doch davon nicht runterziehen.«
    Aber Jakob hat sich schon runterziehen lassen. In der High School hat er sich damit getröstet, ein Spätentwickler zu sein, der pickelige Jungmann, der im Film immer von merkwürdig aussehenden Jungs mit Hosenträgern verkörpert wird, die die erste Spule lang nur gehänselt und gedemütigt werden, um ihre Unschuld bis zum Abspann an eine Schulschönheit zu verlieren. Jakob findet, dass auch ihm dieses Ende zusteht; er wartet jetzt seit zehn Jahren geduldig darauf. Natürlich ist er kein Jungmann mehr - Jakob hat mit drei verschiedenen Frauen geschlafen, die alle nett und auch irgendwie attraktiv gewesen sind. Aber nur drei? Mit sechsundzwanzig Jahren bloß drei Frauen? Sicher, er sollte da nicht statistisch rangehen, er will ja nicht Hank Aarons Homerun-Rekord brechen. Aber es ist hart, wenn die eigenen Freunde im ersten Jahr auf der High School kräftig am Rummachen sind und man selbst sich im Kabel irgendeine Nudisten-Talkshow ansehen darf; es ist hart, Der große Gatsby zu unterrichten und über Daisy zu reden und festzustellen, dass bei den eigenen Schülern mehr abgeht als bei einem selber; es ist hart, mit sechsundzwanzig Jahren immer noch den pickeligen Jungmann abzugeben, bloß dass man nicht mehr pickelig und kein Jungmann mehr ist.
    In den letzten drei Wochen hat sich sein allabendliches Wichsen um Mary D'Annunzio gedreht, und das macht Jakob zutiefst fertig. Ich bin kein Perversling, sagt er sich, aber es fällt ihm schwer, das zu glauben. Sie ist zu jung, er weiß, dass sie zu jung ist, er weiß, dass er sie nicht anrühren wird, aber Herrgott noch mal, sie will ihm nicht aus dem Kopf. Und wenn ich drei Jahre warte?, denkt er. Ich könnte so lange warten. Könnte zu dem College hochfahren, auf dem sie dann ist, und ihren Namen im Verzeichnis der Studierenden nachschlagen. Und dann... was? Sie einfach anrufen? Was würde ich dann sagen?
    Hallo, Mary? Mary D'Annunzio? Hier ist... erkennen Sie meine Stimme? Nein? Ich bin's, Mr. Elinsky! Von der Campbell-

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