25 Stunden
gedrückte Nase. »Ja«, sagt sie. »Der größte Boxer von allen ist Jemenit. Prinz Nasim.«
»Siehst du die?«, fragt er sie und zeigt auf seine Narbe.
»Ja, wie sagt man dazu? Schnitt?«
»Narbe«, sagt Kostya. Er beugt sich herunter und flüstert ihr ins Ohr. »Narbe.«
Roz lächelt. Sie fährt mit den Fingerspitzen die Narbe entlang, vom Nabel bis zu der Stelle, wo sie unter der Gürtellinie verschwindet. Kostya grinst Volandes an. »Große Narbe.«
»Ganzer Mann groß«, sagt Roz und tätschelt Kostya den muskulösen Arm. »Sehr groß.«
»Ja«, sagt Kostya und spannt den Muskel an. »Ganzer Mann groß.«
12
Montgomery findet seine Stadt am schönsten, wenn es schneit, wenn sich auf den Bürgersteigen die Fußspuren überlappen und die Spitzen der hohen Gebäude von den Wolken verschluckt werden. An den Autos auf der Houston drehen die Räder durch, als die Ampel umschaltet; alles rutscht und hupt und schlittert. Monty hat vergessen, sich die passenden Stiefel anzuziehen; das feine Leder seiner Schuhe ist bereits durchweicht. Aber der Kamelhaarmantel hält seinen Körper trocken, und die dunkelblaue Strickmütze hält seinen Kopf warm. Monty sieht allen Männern und Frauen ins Gesicht, die ihm entgegenkommen. Er fragt sich, wo sie hingehen, was sie Vorhaben heute Nacht. Ein indisches Paar kommt vorbeigeschlendert, Arm in Arm. Der Mann hält mit der freien Hand einen schwarzen Regenschirm über ihre Köpfe. Monty hört nur den Akzent, britisch, und einen Satzfetzen, Hopfen und Malz verloren. Die Frau hat es gesagt, mit der Betonung auf Hopfen, vorwurfsvoll, aber nicht gegen ihren Gefährten, gegen irgendjemand oder irgendetwas anderes, und Monty würde gern wissen, was zur Debatte steht, Film oder Chef oder Freundin.
Wo du heute Nacht auch schlafen magst, Frau, wo du dich hinlegen magst, dort möchte ich sein. In den Wänden wartet ein Gewirr schadhafter Kabel darauf, zum richtigen Zeitpunkt durchzuschmoren, und du wirst weiterschlafen in diesem Gestank von geschmolzenem Kupfer und schwelendem Kunststoff, du wirst weiterschlafen, während die ersten kleinen Flammen nach deinem Zimmer greifen, bis die Vorhänge sich entzünden und unter der Decke Rauchwolken wogen und du schließlich die Augen aufschlägst. Dann, wenn die Tapete auf den Wänden Blasen schlägt, werde ich kommen. Durch die brennende Tür werde ich kommen, und hinter mir wird schon die Decke einstürzen. Ich werde dich aus demBett heben und zum Fenster tragen, werde dich mir über die Schulter legen und die Feuertreppe hinuntersteigen und dich den Ärzten übergeben. Weil es stimmt: Aus mir hätte ein toller Feuerwehrmann werden können.
Monty bleibt vor dem Schaufenster einer Bäckerei stehen. Er ist hier schon einmal vorbeigekommen, hat gesehen, wie Naturelle einen traurigen Blick auf das Gebäck geworfen hat und weitergestapft ist. Er starrt die Süßwaren auf ihren silbernen Tabletts an, das üppige Angebot von Naschereien, mit dem die Passanten angelockt werden sollen: die Windbeutel und Cremetörtchen, die Baisers und Madeleines, die Erdbeertörtchen und Honigplätzchen. Monty ist nie weniger hungrig gewesen als jetzt, aber er bewundert die Kunstfertigkeit, die Anordnung. Er fragt sich, wer dieses Arrangement kreiert hat, wer in dem Fenster gesessen und jedes süße Stück mit diesem Auge für Farben und Formen an seinen Platz gestellt hat. Und er fragt sich, wo sie jetzt ist, denn Monty ist sich sicher, dass es eine Frau gewesen ist. Er stellt sie sich vor, in ihrer Wohnung hoch über der Stadt, immer noch in ihrer weißen Bäckerschürze, die Fingerspitzen schwarz von getrocknetem Schokoguss. Back mir 'nen Kuchen , Lady.
Er wendet sich vom Fenster ab und geht Richtung Osten. Ein junger Sportler sprintet vorbei. Uni-Sportjacke, dicker Nacken, kurzgeschorene Haare, vor der Brust einen Strauß roter Rosen, in Plastikfolie eingeschlagen. Ich könnte sie dir ausspannen, denkt Monty. Ich könnte jetzt dorthin gehen, wo ihr euch treffen wollt, könnte mich zu ihr setzen auf die rotgepolsterte Sitzbank und sie dir wegschnappen. Monty weiß, dass er sie kriegen würde, er kennt die Zauberworte. Obwohl, wer weiß; ein Mädchen, das auf einen Typen mit kurzgeschorenen Haaren und roten Rosen wartet, ist nicht gerade Montgomery-Stil. Trotzdem, die Möglichkeit besteht immer. Ihre Blicke würden sich begegnen für einen flüchtigen Moment, und er würde wissen, welche Chancen er hätte.
Monty kann sich nicht erinnern, dass die Frauen
Weitere Kostenlose Bücher