25 Stunden
Rotweinflaschen neben den Brotkörben. Die Empfangsdame telefoniert, sie wirbelt lachend einen Stift zwischen den Fingerspitzen.
Wo will ich hin?, fragt Monty sich. In eine Bar, mich mit meinen Freunden treffen? Was machen wir dann, rumsitzen und trinken und alte Geschichten aufwärmen? Was zum Teufel soll das? Und was könnte armseliger sein als das peinliche Schweigen zwischendurch, die Solidaritätsbekundungen, die ernste und mitleidsvolle Geselligkeit?
Er betritt das Restaurant und stellt sich vor die Empfangsdame, die Strickmütze in den Händen. Sie sagt leise »bon soir« in den Hörer und legt auf.
»Guten Abend«, sagt sie.
Schön ist sie nicht, denkt Monty, aber sie hat was: groß, elegant, graue Augen, Europäerin. Die Worte bon soir hängen in der Luft wie ein ausgefallenes Parfüm.
»Guten Abend«, sagt Monty und starrt sie an. Er hat die Zauberworte verlernt. Es ist sein Spiel, und er hat vergessen, wie es geht. Er starrt sie an, und sie lächelt, schlägt die Augen nieder und trägt einen Namen in das Reservierungsbuch ein.
Jetzt aber, sagt Monty sich. Er geht die alten Taktiken durch und entscheidet sich für einen Klassiker.
»Ich hab da eine Theorie«, erklärt er der Frau. Erst einmal ködern. Nicht aggressiv, nicht drängend. Mach sie neugierig. »Meine Theorie — sagen Sie's mir, wenn ich falsch liege damit —, ich habe diese Theorie, dass es in Wirklichkeit überhaupt keine Rolle spielt, was ein Mann zu einer Frau sagt...
zu Anfang, meine ich. Es spielt keine Rolle, er könnte das Vaterunser aufsagen oder so, weil sie nämlich längst weiß, was sie will.«
Die Empfangsdame hebt eine Braue. »Das Vaterunser?«
»Sie hat sich längst entschieden. Bis er den Mund aufmacht, hat sie sich längst entschieden, ja oder nein, Daumen hoch oder Daumen runter. Sagen Sie's mir, wenn ich falsch liege damit.«
Sie schüttelt langsam den Kopf. »Sie hat sich längst entschieden, ob er eine Chance hat. Aber sie will noch überzeugt werden.«
»Na schön, das stimmt. Mehr kann man nicht verlangen. Wenn ich also sagen würde, dass ich Sie gern wieder sehen möchte, dass ich gern einmal mit Ihnen ausgehen möchte, was würden Sie davon halten?«
»Was ich davon halten würde? Oder was ich dazu sagen würde?«
»Was Sie dazu sagen würden.«
»Ich würde sagen, dass ich in festen Händen bin.«
»Oh.«
»Sind Sie zum Essen hier?«, fragt sie und lächelt.
Monty knetet die Mütze in seinen Händen. Die Wolle ist nass von den schmelzenden Schneeklumpen. »Ich hab schon gegessen.« Nun kommt er sich blöd vor; ein zurückgewiesener Romeo, der auf den Teppich tropft. »Könnte ich kurz Ihre Toilette benutzen?«
Mit dieser Frage hat die Empfangsdame nicht gerechnet. »Sie sind hier hereingekommen, weil Sie die Toilette benutzen möchten?«
»Nein, ich bin hier hereingekommen, weil ich mich mit Ihnen verabreden wollte. Aber jetzt muss ich mal.«
»Hinten«, sagt sie und zeigt dorthin. Sie sieht ihm nach, wie er zwischen den Tischen hindurchgeht und einen Ober an der Schulter berührt, damit der ihn durchlässt.
Monty schließt die Tür der kleinen Toilette ab und setzt sich auf den heruntergeklappten Deckel. Über den Papierhalter hat jemand mit silbernem Marker Ich scheiß auf euch alle geschrieben. Klar doch, denkt Monty. Und ich scheiß auf dich. Ich scheiß auf alle hier. Auf die französische Empfangsdame, auf die Gäste, die ihren Wein trinken, die Ober, die ihre Bestellungen aufnehmen. Ich scheiß auf diese Stadt und jeden, der hier wohnt. Auf die Penner, die einen an der Straßenecke angrinsen und nach Kleingeld fragen. Die Turban-Sikhs und die dreckigen Pakistani, die mit ihren Taxis die Avenues runterrasen. Die Chelsea-Tucken mit ihrer ausgezupften Brustbehaarung und ihren aufgepumpten Oberarmen. Ich scheiß auf die Koreaner mit ihren Pyramiden aus überteuertem Obst, ihren Tulpen und Rosen in Klarsichtfolie. Die Nigerianer in ihren weißen Gewändern, die einem auf der Fifth Avenue gefälschte Gucci-Klamotten andrehen wollen. Die Russen in Brighton Beach, die ihren Tee aus Gläsern trinken und sich dazu ein Stück Zucker zwischen die Zähne klemmen. Ich scheiß auf die Hasidim in ihren schmuddeligen Gabardineanzügen und ihren schwarzen Hüten, die auf der 47,h Street Diamanten verkaufen und ihr Geld zählen, während sie auf den Meshiach warten. Scheiß auf die verkrüppelten Bettler mit ihren verdrehten Gliedern und spastischen Zuckungen. Die rausgeputzten, nach Rasierwasser
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