25 Stunden
sein, und dann werde ich auch da sein.«
»Gut«, entgegnet Monty. »Aber morgen wirst du nicht da sein.«
Slattery nickt und sagt nichts.
»Darum muss ich dich um etwas bitten. Du bist mein Bruder, stimmt's, mein bester Freund?«
»Das weißt du.«
»Du musst etwas für mich machen.«
Slattery wartet.
»Nicht hier«, sagt Monty. »Hier können wir das nicht machen. Kannst du später mit Jake und mir mitkommen? Ich geb ihm Doyle.«
Slattery lächelt. »Ich hatte Angst, du willst ihn mir geben.«
»Nee, Doyle kann dich nicht leiden. Wir hauen hier bald ab. Wir sehen uns im VIP-Raum, ja? Ich muss mich noch von ein paar Leuten verabschieden. Klingt das gut?«
»Was immer du willst«, sagt Slattery. »Das weißt du.«
»Gut.« Monty sieht wieder zu den Tanzenden. Der Mann mit dem freien Oberkörper liegt zusammengerollt auf dem Boden, die Hände zwischen den Beinen. Mary und Naturelle sind nirgendwo zu sehen. »Unser Freund Jake«, sagt Monty, »hat sich jemand Fittes ausgeguckt.«
16
Jakob starrt das schwarze Stahl fragezeichen an und nippt an seinem Champagner. Er wäre gern zu Hause, gemütlich im Bett ausgestreckt. Er ist schon zu lange auf.
Der rote Raum füllt sich allmählich. Jakob kennt niemanden von den Leuten, die sich durch den Samtvorhang schieben, keinen der laut sprechenden Männer mit Champagnerflöten in den beringten Händen, keine der schlanken Frauen, die ihre Köpfe zusammenstecken und sich leise unterhalten. Jakob sitzt allein auf dem Sofa und lauscht, versucht in den Gegenströmungen von Akzenten ein paar Satzfetzen aufzuschnappen: Brooklyn, New Jersey, Boston, Dominikanische Republik, Osteuropa, Puerto Rico, Brasilien. Der Name Monty wird in vier verschiedenen Sprachen, einem Dutzend Dialekten ausgesprochen, aber immer in demselben gedämpften Tonfall, in dem die Angehörigen während der Schiwah den Verstorbenen erwähnen.
Jakob überlegt, wie viele Leute sich wohl zu seiner eigenen Abschiedsparty zusammenfänden; der Vergleich dieser imaginären Gruppe mit der Horde hier versetzt ihm einen Stich. Wie bedeutungslos sein Leben doch ist. Wer würde kommen? Ein paar Englischlehrer in kreidefleckigen Jacketts, Paul aus dem Mathe-Fachbereich, Slattery, dazu zwei oder drei Freunde vom College, die sich um das Büfett drängen und acht Minuten lang Jakob-Geschichten zum Besten geben würden, dann wäre der Vorrat an guten Jakob-Geschichten erschöpft. Montys Leben ist geradezu unglaubwürdig in seiner Dramatik; Waffen, Prostituierte, Südamerikanerinnen; ein Leben, über das man sich gern etwas erzählen lässt. Wenn jemand ein Buch über uns schriebe, denkt Jakob, wenn jemand unsere Geschichte erzählen wollte, wie käme ich dann weg?
Man kann kaum noch etwas sehen vor Zigarettenrauch. D. J. Dusk legt einen schweren Bossa nova-Beat hin, darüberruft Elis Regina in einem geloopten Sample immer wieder denselben Satz. Mitten im Raum lassen drei Frauen ihre Handtaschen fallen und tanzen um sie herum, vorsichtig und wild zugleich. Jakob stellt sich vor, zu ihnen hinüber zu schlendern und mitzutanzen, wie ihre skeptischen Blicke rasch in begeistertes Staunen übergehen, als er auf provokante Weise seine Hüften schwenkt, eine perfekte Rumpfbeuge macht und auf den Händen zu laufen beginnt. Er runzelt die Stirn. Nicht mal in meiner Fantasie kann ich richtig tanzen, denkt er ärgerlich. Mir fallen nur Turnübungen ein. Er trinkt seinen Champagner aus, versucht aufzustehen, schafft es nicht. Oh Mann, denkt er, ich bin betrunken.
Er lässt sich zur Seite sinken, mit dem Kopf auf die samtene Armlehne, und schließt die Augen. Nicht das Glas fallen lassen, ermahnt er sich, der letzte zusammenhängende Gedanke, bevor sich in seinem Kopf das Durcheinander der Traumlogik breit macht. Nicht die Milch verschütten.
Das Nächste, was er mitbekommt, ist dieser warme Körper, der sich der Länge nach an ihn kuschelt, die Hand, die ihm das Champagnerglas entwindet. Irgendwo tief unten geht in ihm eine Alarmglocke los, läutet gedämpft - Gefahr! Aber der rote Samt ist zu gemütlich, der schwere Herzschlag der Bässe zu gebärmutterhaft, zu einschläfernd, und dann die Wärme überall.
Fingernägel fahren seine Rippen entlang, und eigentlich weiß er den Namen noch, der zu diesen Fingernägeln gehört, aber er weiß auch, dass er genau das braucht - diese Fingernägel, diesen warmen Körper. Der Name und das Bedürfnis kollidieren nicht, sie umkreisen die Ränder seines Bewusstseins wie einander
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