25 Stunden
macht den Mund zu, bevor ihm das schlimme Wort - schön — entschlüpft, »jedenfalls nicht komisch drauf.«
»Deering findet, dass ich komisch drauf bin. Meine Mom findet, dass ich komisch drauf bin. Darum schicken sie mich ständig zu Rüben. Sie finden, dass ich komisch drauf bin.«
»Dr. Rüben unterhält sich mit vielen Schülern.«
»Ja, und die sind alle komisch drauf. Man schickt doch keine Normalos zum Schulpsychologen.«
Gespräche, die ich niemals führen wollte, denkt Jakob, Nummer 9307. »Na ja...«
»Jenny Klemperer ist Bulimitikerin, Ian Hart duscht sich nie, Sebastien McCoy redet mit sich selbst, und zwar echt laut. Freaks. Ge-stör-te«, singt sie.
»Jenny Klemperer ist Bulimitikerin?«
»Jenny Klemperer ist Bulimitikerin und trotzdem dick. Das nenn ich komisch drauf. Ich meine, wozu macht sie's dann?«
»Ja, also, ehrlich gesagt lassen wir das besser. Wir reden besser nicht über sie.«
»Ja, aber ich glaube, sie will, dass man über sie redet. Was auch irgendwie komisch ist.«
»Willst du denn nicht, dass man über dich redet?«
»Wenn es gute Sachen wären, schon. Aber ich meine, warum sollte ich wollen, dass jemand sagt: Hey, guck, da ist Mary D'Annunzio, die geht nach dem Mittagessen immer erst mal kotzen. Auf die Art Ruhm bin ich nicht scharf. Hey, kommst du dir nächste Woche Hamlet angucken?«
»Natürlich. Du spielst mit, stimmt7s? Ophelia?«
Mary verdreht die Augen. »Scheiß auf Ophelia. Laertes.«»Laertes?«
»Willst du mal meine Sterbeszene sehen?« Sie springt vom Sofa und macht drei Schritte rückwärts, dann stolpert sie langsam auf Jakob zu, die Hände auf den Bauch gepresst. »Lass uns Vergebung wechseln, edler Hamlet! Mein Tod und meines Vaters komm nicht über dich, noch deiner über mich!« Sie bricht auf den roten Kissen zusammen und liegt zuckend da, stöhnend.
Ein paar Zigarrenraucher in der Ecke klatschen laut. Sie grinsen. Jakob starrt sie böse an und merkt, dass er eifersüchtig ist. Andere Männer sollen die Augen von dem Mädchen lassen, mit dem ich ausgehe, denkt er, selbst wenn es meine Schülerin ist. Sie wissen nicht, dass sie meine Schülerin ist.
Jakob starrt auf die bäuchlings hingestreckte Mary hinab, auf den Streifen bleicher Haut zwischen dem Bund ihrer schwarzen Jeans und dem weißen Baumwollstoff ihres Tank- Tops. Drei Wirbel rufen nach einem Finger, der sie entlangfährt. Jakob würde Mary am liebsten zudecken oder aber aus ihren Sachen pellen.
Sie setzt sich auf und fegt sich die schwarzen Haare aus den Augen. »Mit Kunstblut kommt's noch besser.«
»Nein, das war sehr gut. Du hast einen Fanclub.«
»Ms. Taylor sagt, ich bin die beste Sterbende, die sie je hatte. Hast du dir letztes Jahr Romeo und Julia angeschaut? Ich bin Mercutio gewesen. Das war der größte Tod aller Zeiten. Meine Mutter hat geweint. Meine Mutter weint ständig, aber trotzdem. Weißt du, was ich gern wäre. Eine Stuntwoman. Bloß dass ich Höhenangst habe. Meinst du, die nehmen auch eine Stuntwoman, die Höhenangst hat?«
»Keine Ahnung. Kann sein.« Jakob würde sich gern weniger langweilig anhören, ist aber zugleich halb davon überzeugt, dass er sich langweilig anhören sollte, dass jede interessante Bemerkung nur einem Flirt Vorschub leisten würde.
»Ich muss jetzt wirklich langsam gehen«, sagt er. »Und ich finde, du solltest besser auch gehen.«
»Willst du wirklich dabei gesehen werden, wie wir zusammen aus einem Club rauskommen?«Das hat er nicht bedacht. »Ja gut, dann gehst du zuerst, und ich geh ein bisschen später.«
»Das kannst du vergessen«, sagt Mary. »Dusk spielt bloß ein paar Mal im Jahr in New York. Die buchen ihn ständig in London. Ich geh hier erst raus, wenn die Sonne scheint. Außerdem gibt7s morgen sowieso schneefrei.«
Jakob reibt sich mit den Handflächen die Augen. »Ich muss dringend ins Bett.«
Mary legt sich auf den Rücken und fängt an, Rad zu fahren in der Luft, die Hände hinter dem Kopf. Die umgekrempelten Aufschläge ihrer weiten Hose rutschen ihr zu den Knien, und Jakob starrt ihre schlanken Waden an, das um ihren rechten Knöchel tätowierte Lilienband. Wie viele Tätowierungen hat sie eigentlich?
»Ich könnt jetzt nicht schlafen«, sagt sie und strampelt wild. »Dafür tömt er mich zu sehr an.«
Jakob nickt. Er muss feststellen, dass ihn die Musik fast in Trance versetzt, dieses Üppige, Feuchte, Tropenhafte; das Trommeln eine Beschwörung, Reginas einer Satz ein Mantra, diese paar aus dem Zusammenhang
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