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25 Stunden

25 Stunden

Titel: 25 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Benioff
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gerissenen Wörter, die Jakob nicht übersetzen kann, die sie aber auf eine Weise singt, die jede Übersetzung überflüssig macht.
    »Weißt du, was ich an dir liebe, Elinsky?«, fragt Mary und stößt ihn mit dem Fuß an der Hüfte an. »Die Art, wie du gehst. Als würdest du jeden einzelnen Schritt planen, linker Fuß hier hin, rechter Fuß dort hin. Genauso hältst du auch deine Bücher immer. Du stehst da vom an der Tafel und hältst dieses Buch - Melville oder sonst was -, als ob es jeden Moment kaputtgehen könnte, als ob es ein Vögeljunges wär; einmal zu doll zudrücken, und es ist tot. Das liebe ich an dir. Ich muss mal.«
    Jakob sieht zu, wie sie sich durch die Menge bewegt, wie sie kurz anhält, um mit den drei Frauen in der Mitte des Raumes zu tanzen. Er sieht zu, wie ein gefährlich aussehender Mann mit zurückgekämmten Haaren ihr applaudiert und sich dann zu seinen Freunden umdreht und nickt. Er sieht zu, wie sie Daphne beim Handgelenk nimmt und auf die Zehenspitzen geht und ihr etwas ins Ohr flüstert; er sieht zu, wie Daphne lächelt und Mary einen blauen Drink in die Hand drückt. Er sieht zu, wie sie die Tür aufmacht und auf der Toilette verschwindet, und er weiß, dass es vorbei ist, dass er verloren ist. Er steht auf und geht unsicher durch den Raum, lehnt sich gegen die rote Samttapete und wartet darauf, dass die Toilettentür wieder aufgeht.
    Eine Minute später tut sie das, und Mary starrt zu ihm herauf (herauf!, stellt er erfreut fest), starrt ihm ins Gesicht, aus großen Tweety-Augen.
    »Musst du mal?«, fragt sie.
    »Nein«, sagt Jakob. Er schiebt sie zurück und macht die Tür hinter ihnen wieder zu. Die Toilette ist schwarz gestrichen und wird von einer einzelnen blauen Birne beleuchtet.
    »Hey?«, sagt Mary. Ihre Zähne glühen in dem geisterhaften Licht, und Jakob packt sie bei den Schultern und küsst sie hart auf den Mund. Es ist ein toller, ein sündhafter Kuss, ein gewagter Kuss, ein Knaller von einem Kuss. Jakob biegen sich die Zehen nach oben; seine Augen wollen sich nicht öffnen, als der Kuss vorbei ist. Es erscheint ihm notwendig, dass seine Hände zu ihren Brüsten wandern, und sie tun es, schon sind die Bügel ihres BHs unter seinen Fingern.
    Schieb es auf den Champagner, sagt er sich, dir sprudeln tausend kleine Bläschen im Blut, da setzt das Hirn schon mal aus. Himmel, fühlt sie sich gut an, weich, wo sie weich sein sollte, und fest, wo sie fest sein sollte. Schieb es auf den Champagner. Für meine Freunde ist mir nichts zu teuer. Das wird teuer, mein Freund.
    Erst jetzt fällt ihm auf, dass sie seinen Kuss nicht erwidert, dass ihre Zunge sich nicht bewegt, dass ihre Hände schlaff hinunterhängen. Er reißt sich von ihr los, wischt sich mit der geballten Faust über den Mund. Sie hat die Yankees-Mütze schief auf dem Kopf sitzen und starrt auf den Boden. Jakob steht der Mund offen; er dreht sich weg und brettert durch die Toilettentür, schiebt sich an Zigarrenrauchern und tanzenden Frauen vorbei; er rennt jetzt. Schiebt sich durch den Samtvorhang und rennt.

17
    Die Frauen, mit denen Monty aufgewachsen ist, waren laut, fluchten wie die Henker und nagten Hühnerknochen ab. Nicht wie die zerbrechlichen Mädchen, die er in Manhattan auf der Schule traf, die aussahen, als gingen sie gleich kaputt, wenn man sie anbrüllte, um dann in tausend Stücke zersprungen auf dem Holzboden ihres zweistöckigen Apartments zu liegen. Naturelle war genau richtig, ein Mädchen aus dem gleichen Viertel, das auch auf elegant machen konnte.
    Er hat sie auf dem Spielplatz im Carl-Schurz-Park kennen gelernt, zwei Blocks von ihrer High School entfernt, an einem heißen Septembemachmittag. Sie saß mit einer Freundin auf der Schaukel und rauchte, als Monty vorbeikam, ein tropfendes Softeis in der Hand, Vanille mit geraspelter Schokolade. Er war zwanzig Jahre alt und hatte gerade einem Engländer fünfzig Briefchen Black Tar verkauft, für zweitausend Dollar. Zwei Meilen weiter hätte der Engländer dieselbe Menge auch für fünfhundert Dollar bekommen, aber er hatte entweder keine Ahnung von den Preisen oder keine Lust, sich nach Harlem hineinzuwagen; jedenfalls war Montys silberner Geldclip mit Hundertern voll.
    Monty setzte sich auf eine grüne Parkbank, aß sein Eis und sah den beiden Mädchen zu, wie sie immer höher schaukelten. Sie trugen Schuluniform: weiße, mit den Initialen der Schule bestickte Blusen und grünkarierte Röcke über schwarzen Strumpfhosen. Monty fragte sich, ob die

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