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2500 Kilometer zu Fuß durch Europa

2500 Kilometer zu Fuß durch Europa

Titel: 2500 Kilometer zu Fuß durch Europa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bauer
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durchwehen Europa wie Flüsse.
     
     
    Unterwegs mit ,Komet’
     
    Im Dorf Les Abrets ,
auf dem Campingplatz Le coin tranquille ( ,die ruhige Ecke’, sehr passend zum bisherigen
Verlauf des Jakobswegs), begegne ich zum ersten Mal einer allein reisenden
Pilgerin. In einem extra für Jakobswegwanderer bereit stehenden Zelt, dessen
knallrote Seitenwände nicht zum armeegrünen Dach passen, sitzt sie frisch
geduscht auf ihrem Schlafsack, während ich diesen Gang offensichtlich noch vor
mir habe. Saquina unterrichtet Französisch, Latein
und Griechisch in Paris, erstellt Graphiken, nimmt an Semimarathonläufen teil,
macht Kampfsport und geht zum vierten Mal Richtung Santiago. Ihre Mutter ist
Spanierin, ihr Vater stammt aus Algerien. Den Weg sieht sie in erster Linie als
sportliche Herausforderung; wie ich ist sie in vier Tagen die 130 Kilometer von
Genf nach Les Abrets gegangen. Wir verstehen uns auf
Anhieb. Sie hat die deutschen Philosophen gelesen, Nietzsche, Kant, Hegel,
Schopenhauer, insbesondere die Namen der beiden letzten spricht sie
unnachahmlich aus. Als sie zudem am nächsten Morgen spontan ihr Frühstück mit
mir teilt, bin ich vollends von ihr eingenommen und schlage vor, die ersten
Stunden des heutigen Tages gemeinsam weiter zu gehen.
     
    Dabei sollte ich erwähnen, dass ich die
Eigenart besitze, Menschen aufgrund ihrer Bewegungen einzuschätzen. Worte sind
mir grundsätzlich suspekt, ich kann ihre Mehrdeutigkeit nicht leiden. Eine
hochgezogene Augenbraue bedeutet mir fast immer mehr als ein langes Plädoyer,
und aus einer nervösen Handbewegung ziehe ich meistens mehr Schlüsse als aus
einem eloquent vorgebrachten Argument. Vermutlich hängt das mit meiner
Kurzsichtigkeit zusammen, genauer gesagt mit meiner standhaften Weigerung, in
jungen Jahren eine Brille zu tragen. Freunde erkannte ich zumeist nur an
typischen Bewegungen, zum Beispiel daran, wie sie sich mit der Hand durchs Haar
fahren, und im Lauf der Zeit bin ich dazu übergegangen, automatisch
,Bewegungstypen’ zu bilden, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Die
Vizepräsidentin der Jakobsgesellschaft ist beispielsweise der Typ Gazelle — schnelle nervöse Schritte, dabei immer bereit, nach links oder rechts
auszubrechen, wenn irgendwo Gefahr auftaucht — während Kurt, der Schweizer, als
Typ Buddha mit weiten Schritten ruhig und gelassen seinem Ziel
entgegenschreitet, gleichmäßig wie ein Metronom, ohne dass ihn irgendetwas aus
seinem Rhythmus werfen könnte. Saquina nun ist der
Typ Komet-, unglaublich schnell, ohne dass man ihr das ansieht.
Tatsächlich scheint sie den Boden, den ich mit meinen Skistöcken malträtiere,
kaum zu berühren, und manchmal ist sie plötzlich zwanzig Schritte voraus, als
wären wir in einer ,Star Trek ’-Folge, und sie hätte
sich kurzerhand nach vorne gebeamt, ohne dass ich das berühmte „Energie!“
gehört hätte. Und wie bei allen Wanderern, bei denen die Frau schneller ist als
der Mann, denke ich nicht im Traum daran, das zuzugeben; vielmehr laufe ich
lächelnd neben ihr her, als sei es das Normalste der Welt für mich, in einer
Stunde sechs bis sieben Kilometer zurückzulegen. Wir unterhalten uns gut, und
manchmal schweigen wir zusammen; Saquina hat die
Gabe, gut zuhören zu können. „Hey, heute morgen haben
wir fast 20 Kilometer zurückgelegt, ohne sie zu spüren!“, sagt sie nach drei
Stunden lächelnd. „Genau“, stimme ich ihr lebhaft zu, obwohl ich schon seit
einiger Zeit an das Picknick denke, das ich mir
gleich im nächsten Dorf gönnen werde, „und was unternehmen wir übermorgen in
Santiago?“. Als wir uns trennen weiß ich noch nicht, dass wir uns demnächst
unter Umständen wieder sehen sollten, die keiner von uns erwartet hätte, die
sich jedoch als großer Glücks fall erweisen sollten.
     
     
    Und nebenher bauen wir ein Schwimmbad
     
    Nach einer wohlverdienten Pause gehe ich
bis Le Grand- Lemps , das aus knapp zehn Häusern
besteht, sich aber trotzdem ,Dorf’ nennt. Hier finde
ich Unterschlupf bei einer Familie, die Kinder adoptiert und Pilger aufnimmt.
Ich werde mit einem typisch französischen Abendessen begrüßt, was in erster
Linie bedeutet, dass man sich während eines üppigen Menüs vier Stunden lang
über die kulinarischen Spezialitäten der Region unterhält. Heute Abend nimmt
unser Gespräch jedoch eine unerwartete Wendung: Für die Nacht ist Regen
vorausgesagt, und bis dahin muss der Familienvater den Boden des Schwimmbads,
das er gerade in seinem Garten anlegt, fertig

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