2500 Kilometer zu Fuß durch Europa
Mitbegründer der Urgemeinde in Jerusalem und
erlitt im Jahr 44 n. Chr. als erster Apostel das Martyrium: „Um dieselbe Zeit
legte König Herodes [Agrippa] Hand an einige Angehörige der Gemeinde [...] Er
ließ Jakobus mit dem Schwerte hinrichten.“ (Matthäus 4,21-22)
An dieser Stelle beginnen nun, ähnlich
wie bei Pelayos Entdeckung des Apostelgrabs, sagenhafte Geschehnisse und
mündlich weitergegebene kühne Gedanken die Fakten abzulösen. In einer
abenteuerlichen Fahrt, die sieben Tage dauerte, überführten demnach die
Anhänger des Jakobus den Leichnam an einen Ort, wo er vor dem Zugriff der
römischen Herrscher sicher sein sollte: Südlich vom ,Ende der Welt’, dem Kap
Finisterra im äußersten Nordwesten Spaniens, ging die kleine Gruppe an Land und
begrub die sterblichen Überreste des Apostels in der kargen menschenleeren
Landschaft Galiziens, eben dort, wo der wandernde Einsiedler Pelayo sie fast
800 Jahre später entdeckte. Bereits wenige Jahre nach dieser Entdeckung wurde
eine Kathedrale über dem Grab des Jakobus errichtet,
und mit der Zeit wuchs dank immer größerer Pilgerströme eine Stadt um die
Kathedrale heran. Eine sagenumwobene wohlhabende Stadt, Ziel unzähliger Pilger
und Hoffnung für die unterdrückten Christen in ganz Südeuropa. Zum Andenken an
die Umstände, dank denen das Grab des Apostels gefunden wurde, wird diese Stadt
seither Santiago ( ,heiliger Jakobus’) de
Compostela (,des Sternenfeldes’, von lat. campus stellae ) genannt.
Vor allem im Mittelalter machten sich
Hunderttausende Pilger aus ganz Europa auf den Weg nach Nordspanien. Mit der
Zeit entstanden mehrere Hauptrouten, die von allen Himmelsrichtungen kommend
nach Santiago de Compostela führen und dabei weitgehend den alten
Handelsstraßen folgen. Am bekanntesten ist sicherlich der camino francés , der französische Weg, der von der baskischen
Stadt Puente la Reina nach Santiago führt. In Frankreich existieren vier
durchgängig ausgeschilderte Zubringer zu diesem Weg: Die via tolosana von Arles über Toulouse, die via lemovicensis von Vézelay über
Limoges, die via turonensis von Paris über
Bordeaux und die bekannteste und landschaftlich wohl reizvollste Variante via podiensis , die von Le Puy über Conques und Cahors nach Roncesvalles führt.
Neben dem camino francés kommen Pilger auch
von Norden über A Coruña, von Süden auf der via de la Plata über Sevilla
und vom Nordosten über die Wege der spanischen Nordküste nach Santiago.
Seit der Europarat 1987 den camino francés offiziell zum ,Europäischen Kulturweg’
ernannte, der zudem seit 1992 von der UNESCO zum Weltkulturerbe gezählt wird,
erfährt die Tradition des Pilgerns in ganz Europa eine Renaissance, die dazu
führt, dass immer neue Teilstücke der alten Wallfahrtswege neu entdeckt und
ausgeschildert werden. So gibt es für heutige Pilger beispielsweise Wege ab
Prag über Nürnberg und Ulm oder ab Görlitz über Leipzig und Erfurt und von dort
nach Würzburg. Ein Münchener Weg nach Lindau ist eröffnet, ebenso ein Zubringer
mit Ausgangspunkt Salzburg. Auch von Budapest aus können sich Unerschrockene
auf den Weg quer durch Österreich machen, um am Bodensee auf die anderen Wege
zu treffen. Dabei bildeten sich mit der Zeit mehrere Sammelpunkte für Pilger
heraus, beispielsweise das traditionsreiche Aachen, das schweizerische
Einsiedeln und der französische Wallfahrtsort Le Puy .
Wanderer aus aller Welt lassen somit eine Tradition Wiederaufleben, deren
Bedeutung für den Austausch von Ideen und Wertvorstellungen und für die daraus
resultierende Herausbildung eines gemeinsamen Bewusstseins bereits Goethe
Anfang des 19. Jahrhunderts erkannte: „Europa ist durch die Wallfahrt nach
Compostela entstanden.“
Die meisten heutigen Pilger beginnen
ihre Reise in St.-Jean-Pied-de-Port, dem letzten französischen Städtchen vor
der spanischen Grenze, von dem aus noch 774 Kilometer bis Santiago de
Compostela zurückzulegen sind, oder in den baskischen Städten Puente la Reina
oder Pamplona. Dank des Geflechts an Wegen und Zubringern in Europa kann man
jedoch, gemäß der Tradition des Wallfahrens, den Camino de Santiago heutzutage in der Regel wie seit jeher üblich an der eigenen Haustür beginnen.
In insgesamt 69 Tagen bin ich, dieser
Tradition folgend, mit Rucksack, Schlafsack und zwei Skistöcken von meiner
Studienstadt Konstanz aus aufgebrochen, habe die Schweiz über Fribourg und Genève von Nordost nach Südwest durchquert, bin im
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