254 - Das Nest
verstummte und wandte den Kopf, als würde sie ihn ansehen. Ihre blinden Augen wiesen auf Rulfan. Ihr zerstörtes Gesicht übte eine sonderbare Faszination auf den Albino aus.
»Also gut.« Traysi richtete sich stolz im Sitzen auf. Der Eluu hinter dem Podest aus Tischen und Fellen verlagerte sein Gewicht auf dem Baumstumpf von einem Krallenfuß auf den anderen. »Sag Honey, er kann etwas tun. Ich will, dass er mir einen Kopf bringt. Nein, zwei Köpfe! Auf einem Tablett. Den Kopf von Druud Alizan, dem Druiden der Lords von Tschelsi, und den von Grandlord Paacival! Die beiden haben mich damals an die Taratzen ausgeliefert.«
Rulfan schluckte. Er wusste, dass Matt diesen Paacival kannte. Zwar waren die Socks - die Barbaren - immer wieder mit den Technos aneinander geraten, doch er wünschte keinem von ihnen den Tod. Schließlich war seine Mutter selbst eine Barbarin gewesen.
Ob sie Hrrney wirklich vergibt, falls er ihr diese Köpfe bringt? Oder will sie nur, dass auf beiden Seiten möglichst viele bei dem Versuch ums Leben kommen?
»Gut«, sagte Rulfan ruhiger, als er innerlich war. »Ich werde es Hrrney ausrichten.« Er wollte sich zum Gehen wenden.
»Das ist noch nicht alles.« Traysis Stimme kam abgehackt. »Ich will… dass sich Hrrney… in den Staub wirft. Er soll… vor seinem ganzen Rudel… um Gnade bitten und sagen… dass ich eine Göttin bin.«
»Ich richte ihm auch das aus.«
Abermals wollte Rulfan gehen. Traysi schien aufstehen zu wollen, doch sie blieb hinter ihm sitzen. »Geh nicht«, flüsterte sie. »Ich will nicht allein sein. Geh nicht.«
Die plötzliche Wandlung erschreckte ihn. Unbehaglich drehte er sich zu ihr um. »Ich würde wirklich lieber hier bleiben, aber…«, er zögerte, »aber ich muss zu Chira.«
»Chira?« Traysi klang eifersüchtig.
»Meine Lupa.«
»Ja.« Der Kopf der Lordhexe zuckte hin und her. »Du erwähntest sie. Ja.«
Schweigen lag zwischen ihnen. Rulfan wusste nicht, wie er sich verhalten sollte.
Schließlich seufzte Traysi. »Es ist gut. Geh, Rulfan. Geh. Wir werden einander wieder sehen.«
Wieder sehen ? Rulfan schauderte. Traysi war durch ihre Schmerzen vollkommen verrückt geworden. Sie hatte das letzte Wort so betont, als wäre sie nicht blind.
»Ich…« Rulfan wusste nicht, was er sagen sollte. Gab es für diese verlorene Seele noch einen Trost? Was mochte Traysi sich einst für ein Leben erhofft haben? Was war ihr wichtig gewesen? Und wohin hatte das Schicksal sie geführt?
»Pass auf dich auf, Traysi«, sagte er aus einem Impuls heraus. Etwas an dieser Frau war wie ein kleines Kind. Ein Mädchen, das um Anerkennung wimmerte und niemals erwachsen geworden war.
Die Lordhexe kicherte wieder. »Ich habe meine Wächter.«
Rulfan nickte, auch wenn sie es nicht sehen konnte. Er wandte sich endgültig ab. Einen Moment fragte er sich noch, ob er Traysi um Hilfe bitten sollte. Vielleicht konnte ihr Eluu ihn und Chira aus dem Nest der Taratzen befreien.
Dann verwarf er den Gedanken wieder. Diese Frau konnte nicht mehr klar denken. Das hatten ihre Anweisungen in Bezug auf Grandlord Paacival und Druud Alizan bewiesen. In ihr faulte der Wunsch nach Rache. Hilfe war von ihr nicht zu erwarten.
***
Chelsea, im Ruinendorf der Lords
Die X-Quads schwebten zwischen den Trümmern hindurch. Matt verlagerte sein Gewicht, flog eine Kurve nach der anderen, und das mit Trilithium-Energiezellen angetriebene X-Quad reagierte augenblicklich. Leider würde es das nicht mehr lange tun; die Restenergieanzeige stand auf weniger als fünf Prozent, und aufladen konnten sie die Fahrzeuge nur bei den Technos.
Ein Rudel Lupas beobachtete sie aufmerksam aus der Ferne von einem Hügel aus. Zum Glück griffen sie nicht an. Sie verharrten an Ort und Stelle, und ließen die beiden Menschen auf ihren sonderbaren Gefährten ziehen.
Matt dachte an Chira, die seit dem Vorfall auf dem Airfield von Northolt verschollen geblieben war. Warum war sie weggelaufen? War sie verletzt? Er hätte gern nach ihr gesucht, aber Rulfan hatte Vorrang. Der Gedanke, dass die launischen, kannibalischen Taratzen seinen Blutsbruder geschnappt hatten, bereitete Matt Bauchschmerzen.
Sie erreichten das Gebiet, das von den Lords bewohnt wurde. Hier gab es einige Ruinen, die besser erhalten waren als in benachbarten Häuserblocks. Ihre Grundgeschosse standen noch. Felle und Decken waren in die Fenster gehängt. Noch hatten sie den Kern der Ruinensiedlung nicht erreicht.
Am Randgebiet, hinter einer einfachen
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