255 - Winterhexe
geliebt-verachteten Bruder Wexley und seinen Ersten Leibgardisten Luther um sich geschart und mit ihnen besprochen, was sich da an noch nie gesehener Wetterkapriole ihrer kleinen Stadt näherte.
Die Meinungen gingen auseinander. Während Luther besorgt wirkte, gab sich Wexley gewohnt überlegen und tat das Ganze als »harmlose Spielart der Natur« ab.
Bis der Tornado - als solcher entpuppte es sich - Ayr erreichte.
Die Corrs hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits in das Gebäude zurückgezogen, das - ihrer Ansicht nach - keine Naturgewalt zu fürchten hatte.
Luther war ein klein wenig anderer Meinung. Er scharte in Windeseile ein paar Getreue um sich und flüchtete in ein Gewölbe, das nur wenigen bekannt war. Die Corrs kannten es, aber offenbar waren sie zu stolz - oder zu dumm -, darin Schutz zu suchen.
Fast eine Stunde verschanzten Luther und seine Leute sich darin, während über ihnen hör- und fühlbar die Welt unterging. Und wenn nicht die Welt, dann doch zumindest…
... Ayr!
Als sie aus den Trümmern krochen, gab es kaum Überlebende außer ihnen in der Stadt, die ausradiert worden war von… ja, von was?
Luther ließ die Leichen des Fürsten und seines Bruders bergen. Danach gab es in Ayr nichts mehr zu tun. Weil von Ayr nichts Nennenswertes, was den Wiederaufbau gelohnt hätte, übrig geblieben war.
»Wohin?«, wollten die Getreuen wissen.
Und Luther zeigte nur grimmig in die Richtung, aus der der Tornado gekommen war - als wäre es ein lebendiger Feind, den man verfolgen und stellen könnte…
***
Tage später
»Wieso schneit es?«, fragte das Kind seine Mutter.
»Ich weiß es nicht, Liebes.«
»Aber…«
»Es ist eigentlich vor der Zeit, du hast ganz recht. Und dann diese Menge…«
Durbayn versank in Schnee. Und dann kehrten Jäger heim, die draußen, einen halben Tagesmarsch vom Dorf entfernt, Wunderliches beobachtet hatten. Wunderliches, das sich rasch in eine elementare Bedrohung gewandelt hatte.
Angelockt von dem Phänomen - ein Sturmwirbel, der seinen Platz nicht verließ, sondern wie zwischen den uralten Steinsäulen eingesperrt tobte -, hatten sie sich genähert… und waren von einer Donnerstimme aufgefordert worden, künftig Abgaben an die »Winterkönigin« zu leisten, wollten sie in ihrem Dorf und den angrenzenden Äckern keine Missernten und Unwetter riskieren. »Schaut nach Ayr!«, hatte die Stimme gesagt. »Dort erkennt ihr, was geschieht, wenn man sich mir widersetzt!«
Jeder in Durbayn wusste von Ayrs Schicksal.
Und jeder wusste, was der Hinweis der Unsichtbaren, die im Wirbel zu hausen schien und sich »die Winterkönigin« nannte, zu bedeuten hatte.
Dabei hätte es dieser Drohung gar nicht bedurft. Denn die Jäger brachten einen Toten heim. Er war der stärkste - aber nicht unbedingt klügste - von ihnen gewesen und hatte die Dummheit begangen, seinen Speer gegen den Wirbel zu schleudern, als die Stimme den Tribut verlangte.
Daraufhin war eine Sturmlanze auf ihn zugeschossen und hatte ihn regelrecht zerschmettert. Die anderen waren mit mehr oder weniger starken Blessuren davongekommen.
Die »Winterkönigin« hatte sie lachend davongejagt und ihnen zur Warnung mit auf den Weg gegeben: »Wie diesem Narren wird es jedem ergehen, der mir nicht gehorcht - oder der aus dem Dorf zu entkommen trachtet!«
Noch während sie sprach, waren Wölfe aufgetaucht und hatten die Jäger bedrohlich angeknurrt. Keiner der Durbayner wagte es, noch einmal seine Waffe zu erheben. Auch nicht gegen die Lupas, die in enger Verbindung zu der Frau zu stehen schienen, die sie fortan » Winterhexe «, niemals aber Königin schimpften…
***
»Gut gemacht«, lobte Gwaysi den Techno an der Konsole. »Das wird ihnen hoffentlich eine Lehre sein.«
Balcron saß schweißüberströmt über seinen Kontrollen, als Gwaysi das Mikrofon weglegte, mit dem sie zu den Jägern gesprochen hatte. Sie verfolgte über die Kameras in den Steinsäulen, wie die Bewohner des einzigen Dorfes in weitem Umkreis die Flucht ergriffen. Eine Weile ließ sie sie noch von ihren Lupas verfolgen, dann rief sie die Tiere zurück.
Restlos zufrieden war sie mit dieser Entwicklung aber noch nicht. Was mir fehlt , dachte sie, ist ein Spion, der mir jederzeit berichtet, wenn Gefahr von ihnen droht. Wahrscheinlich werden sie aufbegehren, früher oder später. Und dann wäre es gut, rechtzeitig informiert zu sein.
Ein solcher Spion müsste aus ihrer eigenen Mitte kommen, doch ohne permanent in seiner Nähe zu sein, würde sie
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