256 - Der König von Schottland
auf Einzelheiten eingehen«, wieder ein Blick zu Aruula, »aber wir haben ein gemeinsames Kind, eine Tochter. Als der EMP den Londoner Bunker lahm legte, machte sie sich mit Ann und dem Barbarenhäuptling Pieroo auf nach Norden, um sich irgendwo niederzulassen. Hast du vielleicht von den Dreien gehört: ein stark behaarter Barbar, eine blonde Frau, die man für eine Techno halten könnte, und ein neunjähriges Mädchen?«
»Hm.« Jed trank einen Schluck, bevor er antwortete. »Gehört… äh, nicht direkt. Du sagtest, sie war bei dir, als ihr in diese Zeit kamt? Dann altert sie also genauso langsam wie du?«
Maddrax nickte. »Richtig. Alle Mitglieder meiner Staffel wurden damals im Zeitstrahl mit einem… einem Mantel aus Tachyonen umhüllt, der die Zeit von uns fern hält… einfach ausgedrückt. Warum fragst du?«
»Nun, ähm, es gibt Gerüchte über eine angeblich unsterbliche Frau, die in einem kleinen Dorf in Irland leben soll. Reisende erzählten davon, aber natürlich habe ich es nicht geglaubt. Meinst du, es könnte sich um deine Jenny handeln?«
Deine Jenny… Aruula versetzte es einen Stich ins Herz. Da war sie wieder, diese eigentlich doch unbegründete Eifersucht. Obwohl ihren Geliebten nicht mehr mit Jenny Jensen verband als die Zeit, aus der sie kamen. Und natürlich seine Tochter Ann. Vor allem Ann.
Aruula hörte dem Gespräch der Männer, an dem sich nun auch Rulfan beteiligte, nur noch mit halbem Ohr zu. Sie war müde und erschöpft. Außerdem meldeten sich wieder die Kopfschmerzen von dem Schlag, den sie in der vergangenen Nacht beim Kampf mit den Barbaren erhalten hatte. Nach einer Weile verabschiedete sie sich von den anderen und ließ sich von einem der schwarz gekleideten Bediensteten auf ihr Zimmer bringen. Ein karger Raum mit Bett und Kommode im oberen Geschoss des Kastells, der nach Lavendel roch.
Nachdenklich blickte sie aus dem Fenster. Es schneite wieder. Die Baumriesen hinter den Burgmauern trugen weiße Gewänder und irgendwo am Rande der Wälder glitten dunkle Schatten über die Schneedecke der Lichtung. Tiere, vermutete Aruula. Dann hörte sie hinter sich die Tür und wandte sich um. Maddrax! Mit einem geheimnisvollen Lächeln kam er zu ihr und nahm sie in die Arme. »Weißt du, wie sehr ich dich liebe?« Sanft küsste er sie auf den Mund.
»Wie sehr?«, flüsterte Aruula und erwiderte seinen Kuss. Ihr Liebster antwortete ohne Worte. Sie spürte seine Lippen auf ihrem Hals, ihren Schultern und ihren Brüsten. Sanft zog er sie zum Bett. Während sie sich gegenseitig entkleideten, verschwanden die düsteren Eindrücke des Abends, und alle Schmerzen, die ihren müden Körper gerade noch geplagt hatten, lösten sich auf in einer Woge der Wonne…
***
Highlands, 13. November 2525
Der Weiße schlich unruhig durch das Unterholz. Zwischen den mächtigen Baumstämmen beobachtete er das Gestöber der dicken Flocken. Der dichte Schneevorhang versperrte die Sicht zu dem Felsennest, das die Nackthäute bewohnten. Er war einigen von ihnen am Nachmittag hierher gefolgt. Nicht wegen der Nackthäute selbst. Er hatte eine Witterung in die Nase bekommen, von einer Artgenossin, die bei ihnen war. Der verlockende Duft war stärker gewesen als der Drang, zu seinem Rudel zurückzukehren. Er hatte ihn schon einmal gewittert, vor gar nicht allzu langer Zeit, beim Steinhaus seiner damaligen Herrin. Bevor der Geruch von Blut ihn überdeckte und sein Rudel gefangen genommen wurde.
Seitdem hatten sie neue Herren, lebten mit ihnen unter freiem Himmel.
Anfangs war es wie selbstverständlich gewesen, sich den Nackthäuten und ihrem Anführer, den sie Luuser nannten, unterzuordnen. So waren sie es von ihrer Herrin Gweesi seit Jahren gewöhnt. Doch tagtäglich kam dem Weißen sein verschütteter, wilder Instinkt mehr zu Bewusstsein. Er verließ sich nicht mehr nur auf die Laute der Zweibeiner, sondern gehorchte zunehmend den Gesetzen seiner Natur. Als Stärkster der Lupas war der Weiße inzwischen ihr Erster geworden. Und auch wenn er es selbst noch nicht wusste, würde er schon bald gegen die Herrschaft Luusers aufbegehren und sein Rudel in die Freiheit der Wildnis führen.
Im Augenblick allerdings folgte er dem gewöhnlichen Trieb allen Lebens, sich zu vermehren. Der Geruch der prächtigen Schwarzen hing ihm immer noch in der Nase. Sie roch nach Harz und Erde, nach moorigem Wasser und Farn - und nach dem zweibeinigen Weißhaar mit den roten Augen. Würde sie die Nacht in dem Felsennest verbringen, in dem
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