26 - Die Sklavenkarawane
still, still!“ rief der Ungar, indem er mit beiden Armen den ewig langen Namen abwehrte. „Ich mag ihn nicht mehr hören. Wenn ich ihn einatme, wird er sich als Bandwurm in meine Eingeweide legen und mich von innen heraus aufzehren. Was kann dein Name gegen meine Erfahrungen und Kenntnisse bedeuten! Ihn hast du ohne alles Verdienst von deinen Vorfahren; sie aber habe ich mir selbst angeeignet. Wisse, daß ich sogar die Sprache aller Weisheit, das Latein, verstehe! Ich habe es von meinem Herrn gelernt!“
„Und wisse“, schrie der andre, welcher sich entsetzlich zu ereifern begann, „daß ich alle Länder und Völker der Erde, alle Städte und Dörfer des Weltalls kenne und beim Namen nenne.“
„Das ist Geographie, deine Leidenschaft. Wo aber willst du sie studiert haben?“
„Bei meinem Oheim, welcher erst in Stambul wohnte und dann in das Land der Nemtsche nach Lipsik ging, wo er an einer Straßenecke viele Jahre lang mit Asal 'l abiad handelte. Dort wurde er wohlhabend und kehrte heim, mich zu belehren. Als ich ausstudiert hatte, ging ich nach Ägypten als Soldat und bin so nach und nach bis in den Sudan gekommen.“
„O du Vater des Gelächters“, lachte des Slowak, „willst du dir darauf etwas einbilden, daß dein Oheim Honig verkaufte? Hat er in Leipzig auch Latein studiert?“
„Alles, alles, was es geben kann! Und ich hab's dann von ihm, Allah allein kennt die Millionen Länder und Dörfer, welche sich in meinem Kopf befinden. Du aber weißt gar nichts. Du bist der Sohn der Blattern und der Vater der elf Haare. Du hast meinen Namen gehört. Wie kannst du mich den Vater des Gelächters nennen?“
Sie waren beide zornig geworden und griffen sich bei ihren gegenseitigen körperlichen Schwächen an. Die Spitznamen, welche man ihnen gegeben hatte, waren sehr bezeichnend. Das Gesicht des Slowaken war geradezu abschreckend pockennarbig, und es mußte fast als ein Wunder erscheinen, daß die zerstörende Krankheit ihm die wenigen Haarkeime übriggelassen hatte. Freilich zählte sein Schnurrbart mehr als elf Haare, aber über dreißig waren es gewiß nicht. Und diese zerstreut und unregelmäßig über die Oberlippe verteilten Männlichkeitsbeweise hatte er so lieb, daß seine Hände während jedes freien Augenblicks bemüht waren, sie zu sammeln und ihnen die Form eines echt ungarischen Schnurrwichses zu geben.
Was den ‚Vater des Gelächters‘ betraf, so litt er an einer Krankheit, welche sein Gesicht in fast regelmäßigen Pausen, besonders aber bei Seelenerregungen und wenn er sprach, zur schrecklichen Fratze verunstaltete, nämlich am Gesichtskrampf. Diese Verzerrungen brachten nie einen ernsten, sondern stets nur einen solchen Ausdruck des Gesichtes hervor, daß man meinte, Ali wolle sich über irgend etwas totlachen. Es ist ganz gewiß höchst verwerflich, sich über körperliche Gebrechen eines andern lustig zu machen, aber die Gesichter des Mannes, welcher Millionen Länder und Dörfer in seinem Kopf hatte, wirkten so unwiderstehlich, daß der ärgste Melancholikus, der rücksichtsvollste Mensch geradezu gezwungen war, mitzulachen. Übrigens genierte ihn das keineswegs; er schien sich im Gegenteil ganz glücklich zu fühlen, stets lustige Gesichter um sich zu sehen.
„Und wenn du alle Völker und Inseln der Erde im Kopf hast, so kennst du doch gewiß nicht ein einziges Wort Latein!“ behauptete der Slowak. „Herr, verstehst vielleicht auch du Lateinisch?“
„Ja, ein wenig“, nickte der ‚Vater der vier Augen‘ lächelnd.
„Wo hast de es denn gelernt?“
„Auch in Leipzig.“
„Aber doch nicht an der Ecke bei dem Honigkasten?“
„Nein, sondern von meinen Professoren.“
„Professoren? Hast du etwa studiert?“
„Ja.“
„Was?“
„Medizin.“
„So bist du Doktor?“
„Allerdings. Auch war ich drei Jahre lang Lehrer an einer deutschen Medresse.“
Da sprang der Kleine auf und rief: „So bist du ein Deutscher?“
„Ja. Wenn du Deutsch verstehst, können wir uns dieser Sprache bedienen.“
„Natürlich verstehe ich es, und zwar ganz ausgezeichnet! Allah! Ein Rais et tibb (Doktor der Medizin)! Und ich habe dich du genannt! Wo habe ich da meine Augen gehabt! Das soll sofort gutgemacht werden; ich werde höflicher sein. Darf ich deutsch reden?“
„Das versteht sich!“ antwortete der Gelehrte, sehr neugierig darauf, wie der Ungar, welcher des Magyarischen, des Slowakischen und sogar des Lateinischen mächtig sein wollte und wirklich gar nicht übel arabisch
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