264 - Verschollen
sagte sie dann. Die junge Gonzales sagte gar nichts, schluckte nur und folgte ihr.
Sie kletterten über die Weidenmauer und stapften durch Schnee und Gras auf das Dorf zu. »Wenn meine Mutter erzählte, wie sie sich die Erde vorstellte, klang das immer ziemlich idyllisch«, sagte Tita Athena heiser. »Mit dem hier hatte es jedenfalls keine Ähnlichkeit.«
Yiling spürte die übergroße Nervosität der jüngeren. »Du sprichst oft von deiner Mutter«, sagte sie, um Tita abzulenken. »Sie war eine feine Frau, nicht wahr?«
»O ja…« Weich wurde Titas Stimme plötzlich. Sie begann von ihrer Mutter zu erzählen, während sie auf das erste Haus am Dorfrand zugingen. »Es ist so schade um sie. Nie vergesse ich den Tag, an dem sie starb…«
Schon kam sie auf den Tod von Athena Tayle Gonzales zu sprechen. Yiling hätte damit rechnen müssen, sie biss sich auf die Zunge. »Ihr Unfall damals hat mich sehr erschüttert…«
»Unfall?«, begehrte Tita zornig auf. »Gewisse Ratsherren hatten die Gedächtniskopie eines Erdmenschen in den Speicher eines Brechsteinschleppers übertragen! Sie wollten Drax jagen und hofften darauf, dass das Bewusstsein dieses Aiko Tsuyoshi die Strategie dafür liefern würde. Doch das Gerät geriet außer Kontrolle und erschoss meine Mutter!« In allen Einzelheiten schilderte sie die damaligen Umstände. Offenbar hatte sie die letzten Jahre damit verbracht, den genauen Ablauf zu recherchieren. »Chandra und ihr Liebhaber Matthew Drax waren geflüchtet. Meine Mutter und Tartus Marvin sollten ihn zurück nach Elysium bringen…«
»Ach!« Yiling staunte. »Tartus Marvin war auch dabei?« Die Copilotin erinnerte sich gut an die Tragödie. Die Baumaschine war auf der Jagd nach dem Erdmann in Utopia eingefallen und hatte eine Spur der Verwüstung gezogen. Neunundzwanzig Tote und über hundert Verletzte hatte es gegeben. Danach musste die damalige Ratspräsidentin zurücktreten. [4] Dass Tartus Marvin involviert gewesen war, das war neu für Yiling Kyi Angelis.
»Damals hat er sich diese hässliche Narbe eingehandelt!«, zischte Tita feindselig. »Viel zu glimpflich kam er davon. Er hätte meine Mutter retten können!« Sie erreichten das erste Haus, gingen nun an seiner Gartenmauer entlang auf das Haus zu. »Die beiden hatten Drax an Bord ihres Gleiters genommen«, fuhr Tita fort. »Deswegen griff die Maschine ihn an. Drax floh feige aus dem Gleiter, meine Mutter stand in der offenen Luke und forderte ihn auf, zurückzukommen - und in diesem Moment traf sie ein Laserstrahl der Amok laufenden Maschine!« Sie verstummte und senkte den Blick.
Yiling Angelis begriff sofort. »Und jetzt sind wir hier, um diesem Mann seine Tochter zurückzubringen. Aber warum hast du dich für diese Mission…« Sie verstummte, als sie plötzlich zwei Gestalten aus dem Haus kommen sahen, einen breit gebauten großen Mann und eine ziemlich dicke Frau.
Der Mann stieß einen Fluch aus und riss eine Armbrust hoch. Tita und Yiling hechteten auseinander, warfen sich in Schnee und Gras. Der Pfeil fuhr in die Gartenmauer.
»Wer auch immer Sie sind: Wenn Sie den nächsten Pfeil anrühren, sind Sie tot!« Yiling schrie es und jagte einen Laserstrahl über das Paar hinweg in die Hauswand. »Lassen Sie die Waffe fallen und Sie haben nichts zu befürchten!«
Die Frau schlug dem Mann die Armbrust aus der Hand. »Nicht schießen!«, rief sie. »Pol ist nur erschrocken… bitte… er ist sonst nicht so!« Beide hoben die Arme.
Yiling stand auf. Das zweite Mal begegneten sie Erdmenschen, und das zweite Mal schoss man auf sie. Sie ging auf das Paar zu. Tita klopfte sich den Schnee aus dem Mantel und folgte ihr. Die beiden Erdmenschen waren schon älter; die Frau entblößte ein lückenhaftes Gebiss. »Tschuldigung«, sagte sie. »Hab erst auf'n zweiten Blick geseh'n, dass ihr Menschen seid. Die komischen Dinger da…« Sie deutete auf ihre Helme.
Yiling musste sich konzentrieren, um ihr verwaschenes Englisch verstehen zu können. »Oh - die tragen wir, damit wir nicht krank werden«, erklärte sie und kam schnell zum Punkt: »Stammen Sie aus dem Dorf hier?«
»Hier sind doch alle tot«, brummte der Mann. »Nur noch Stein…«
»Kommen aus Blarney Castle«, sagte die Frau.
»Eine Stadt?«, wollte die Copilotin wissen.
»'ne Burgruine, drei Wegstunden von hier«, sagte der Mann. »Nur ein Turm steht noch und ein paar Wände.«
»Und da kann man leben?« Tita runzelte die roten Brauen.
»Darunter«, sagte die Frau. Neugierig
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