Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
265 - Das letzte Tabu

265 - Das letzte Tabu

Titel: 265 - Das letzte Tabu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
Vom Netzwerk:
er Aruula das vermitteln können. Und hoffentlich kam es nicht zu unschönen Szenen…
    ***
    Die Menschen der Erde kamen auf den Mars. Sie kamen, weil sie Angst hatten oder keine Angst hatten, weil sie glücklich oder unglücklich waren, weil sie sich wie Pilger oder nicht wie Pilger vorkamen. Jeder hatte seinen Grund.
    Ray Bradbury, Die Mars-Chroniken
     
    Der Strahl gebar einen Schemen, schlank und hochgewachsen, der sich in Windeseile mit Fleisch füllte, als würde es ihm von irgendwoher zufliegen.
    Graulicht raste mit einer Vehemenz in seinen zurückgelassenen Körper, wie er es noch niemals zuvor getan hatte. Er hatte das Gefühl, keine Sekunde, keine noch so winzige Nuance dieses Schöpfungsakts, den kein anderer Wanderer gutgeheißen oder auch nur toleriert hätte, verpassen zu dürfen.
    In dem Moment, da er selbst den Strahl der Alten verließ, hatte seine Hand die Fähigkeit verloren, den mitgebrachten Körper festzuhalten und auf seinen ersten eigenen Schritten zu leiten.
    Deshalb sprang Graulicht auf die Beine, kaum dass er wieder in seinen eigenen Leib eingefahren war. Für einen Moment wurde ihm schwindlig und schwarz vor Augen. So sah er die Frau, die durch den Sand des Kraters stolperte, erst richtig, als ihre Manifestierung bereits vollendet war.
    Und kaum traf sein Blick sie, schien sie zu erstarren. Die Orientierungslosigkeit, der strauchelnde Gang durchs Dunkel, geriet zumindest vorübergehend ins Stocken. Es war, als spüre sie Graulichts Präsenz. Als richte sie ihren inneren Kompass nach ihm aus.
    Sie drehte sich zu ihm um.
    Graulicht überwand die eigene Scheu und eilte ihr entgegen. »Still!«, bedeutete er ihr mit Flüstern und eindringlicher Gestik.
    Er wusste nichts über ihre Verfassung und ob sie dieselbe Sprache benutzte wie er. Wenn sie tatsächlich seelenlos war, wie unter den Wanderern seit Urzeiten gemutmaßt wurde, ohne es je ausgetestet zu haben, würde sie dann überhaupt für irgendein Wort oder andere Zuwendung empfänglich sein?
    Ihn schauderte ob seiner Tat.
    Aber er hatte nicht widerstehen können - und schaffte es auch jetzt nicht, dass die Schuld sein Glücksgefühl überwog. Wie selbstverständlich löste er den Umhang von seinem Körper und legte den seidigen, federleichten Stoff um sie.
    Sie war so viel besser, als er es im Strahl hatte vermuten können. Und doch war das, was er dort von ihr gesehen hatte, schon so überwältigend gewesen, dass es ihn vom ersten Augenblick an nicht mehr losgelassen hatte.
    Nun also die wahre Welt.
    Und die ersten Probleme.
    Die Wächter. Sie bildeten keinen undurchdringlichen Kordon, aber sie könnten Fragen stellen, woher seine Begleitung mit einem Mal kam.
    Glücklicherweise nahmen sie nur die Kontrolle genau, die in die Anlage hineinführte. Weltenwanderer oder Wissenschaftler, die sie dagegen verließen, wurden nicht kontrolliert; warum auch?
    Wenn er sich also in den Schatten hielt und seine »Beute« unter dem Umhang dicht an sich presste, mochte es gelingen. Er durfte nicht auf den letzten Metern scheitern! Er musste es zu der Stelle schaffen, wo sein noch ahnungsloser Komplize bereits auf ihn wartete…
     
    »Lob!«
    Lobsang zuckte zusammen. Offenbar war er kurz weggenickt gewesen, denn Graulichts Stimme ließ ihn auf- und zusammenfahren. »Grau…« Er musste erst die Benommenheit abschütteln, dann aber musterte er den Freund kritisch. Ein kurzer Blick auf die Uhr in den Armaturen des Schwebers verriet ihm, dass Graulicht gute zwei Stunden unterwegs gewesen war. Er hatte mit einer bedeutend längeren Abwesenheit gerechnet, wertete es aber als gutes Zeichen, bis…
    »Wer ist das?«
    Erst jetzt war Lobsang die Gestalt hinter seinem Freund aufgefallen. Offenbar hatte er ihr seinen Umhang überlassen, mit dem sie sich regelrecht vermummte. Lobsang versuchte vergeblich, einen Blick auf das Gesicht zu erhaschen. Von der Figur her, die sich unter dem Stoff abzeichnete, hätte er allerdings geschworen, dass es sich um eine Frau handelte.
    »Eine Freundin. Sie fährt mit. Oder gibt es Einwände?« Graulichts Stimme klang unterschwellig lauernd und aggressiv.
    Lobsang fühlte sich überrumpelt. Er sah zu, wie sein Freund der unbekannten Frau, die offenbar Scheu hatte, sich ihm zu zeigen, in den hinteren Bereich des Schwebers half. Die Vermummte bewegte sich seltsam linkisch, als hätte sie lange eingezwängt irgendwo zugebracht und müsse sich erst wieder an Bewegungsfreiheit gewöhnen. Hölzern muteten ihre Bewegungen an, stocksteif.

Weitere Kostenlose Bücher