265 - Das letzte Tabu
erfahren hatte, war nebulös gewesen, und sie hatte später auch nicht weiter in ihn dringen wollen.
»Perfekt«, sagte er jetzt fast geschäftsmäßig und klopfte gegen das Päckchen, das er unter seine linke Achselhöhle geklemmt hatte. »Du hast geduscht?«
Aruula rümpfte die Nase. Die Ultraschalldusche hier an Bord entsprach nicht im Entferntesten ihrer Vorstellung von Körperpflege. Aber sie hatte auf dieser Reise mehr als einmal bewiesen, dass sie bereit war, Kompromisse einzugehen - solange sie eine bestimmte Grenze nicht überschritten.
Bevor sie zu einer sarkastischen Erwiderung ansetzen konnte, warf Maddrax ihr bereits den Packen zu. Reflexartig fing sie ihn auf. »Was ist das?« Sie drehte das Päckchen in ihren Händen. Es war fast gewichtslos.
»Dein Outfit für den Mars«, sagte der Mann, den sie liebte. Mit dem alles perfekt hätte sein können, wären da nicht immer wieder Störfeuer gewesen, die es einer temperamentvollen Frau unnötig erschwerten, ihm wirklich vorbehaltlos zu vertrauen.
Zuhause auf der Erde hatte sie gegen Windmühlen gekämpft - Windmühlen namens Ann und Jenny -, und jetzt, Millionen Kilometer von dort entfernt, wartete ein vielleicht noch unfairerer Gegner auf sie.
Sie wusste wirklich nicht, wie sie reagieren würde, wenn sie Chandra Auge in Auge gegenüberstand. Gegen jedes andere Gefühl hätte sie ankämpfen können, aber der Gedanke, dass eine andere Frau Maddrax geholfen hatte, ein Stück Leere und Einsamkeit zu füllen… nein! Ganz kategorisch nein !
Sie öffnete das Päckchen und förderte einen schwarz schillernden Einteiler aus marsianischer Spinnenseide zutage, der ihren Körper bis auf Hände und Kopf gänzlich bedecken würde. Sie verzog missmutig das Gesicht. Nun, wenigstens war er körperbetont geschnitten. »Hast du noch mal wegen Hi'schi vorgesprochen?«, fragte sie ihren Gefährten.
Er nickte. »Dasselbe Lied«, seufzte er. »Niemand außer Vogler und Clarice fühlt sich zuständig, dem nachzugehen, was du festgestellt hast. Die beiden haben sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten erneut für den Drakullen eingesetzt. Aber der Kommandant verweist hartnäckig darauf, dass er der Regierung nicht vorgreifen will und kann. - Nun, wie auch immer: In Kürze werden wir auf dem Mars landen. Ein Shuttle bringt uns hinunter. Wir werden bereits gespannt erwartet.«
Unter anderem von Chandra , dachte Aruula und lächelte ihn trotzdem an. »Ich freue mich darauf«, sagte sie. »Es wird eine ganz neue, nachdrückliche Erfahrung sein.« Vor allem für dieses Weib, wenn es auch nur ein Auge auf dich wirft…
***
Der Mars war ein fernes Ufer, und die Menschen landeten daran in Wellen. Jede Welle war anders, und jede war stärker.
Ray Bradbury, Die Mars-Chroniken
»Du hast was getan?«
»Sprich leiser.«
»Wer war das noch mal gleich, der mir von den unumstößlichen Regeln erzählte, denen Geistwanderer im Strahl unterworfen sind?« Lobsang konnte und wollte sich nicht beruhigen. »Ich hätte nie gedacht, dass das überhaupt möglich ist. Gegenstände mitbringen - okay, das machen viele von euch Geistwanderern. Aber das sind Dinge . Nichts aus Fleisch und Blut. Graulicht, du… du hast da an etwas gerührt…« Er sammelte sich, versuchte sich zu konzentrieren, während nebenan Geraschel zu hören war. Dort bewegte sie sich wie ein Geist durch das Haus.
Plötzlich kam ihm die rettende Idee. »Bring sie zurück! Bring sie sofort zurück, und niemand wird je von deinem unfassbaren Verstoß erfahren. Du musst sie nur an den Wachen vorbeischleusen. Von mir aus warten wir die kommende Nacht ab; bei Tag ist es vielleicht zu riskant. Nein, bestimmt sogar. Okay, ich versuche mich zu beruhigen, und du -«
Nebenan fiel etwas zu Boden, zerbrach klirrend. Es konnte nichts von großem Wert sein, dennoch offenbarte das Geräusch, wie blank Lobsangs Nerven lagen.
Er fluchte. »Geh rüber!«, forderte er den Freund auf. »Es ist deine Show. Also kümmere dich auch um sie. Pass auf, dass sie nicht noch mehr Schaden anrichtet. Mir reicht's. Ich glaube, ich brauch erst mal meine Ruhe. Komm mir nicht nach. Ich bin im Schlafraum. Und ich sperre ab. Das hier… ist mir entschieden zu makaber. Eine Blaupause zum Leben erwecken! Was hast du dir nur dabei gedacht?«
In seiner Aufgebrachtheit fiel ihm kaum auf, wie ungewohnt wortkarg Graulicht war. Ohne Widerspruch kehrte der Freund ihm den Rücken und trottete in den Nebenraum. Er hörte Graulicht sprechen, verstand ihn aber nicht,
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