265 - Das letzte Tabu
Gesprochen hatte sie noch kein Wort.
»Freundin? Wo hast du sie getroffen? Eine andere Weltenwanderin?« Lobsang sprach eigentlich nur seine Mutmaßungen aus, redete mehr zu sich selbst. Von Graulicht schien er sich keine weiteren Erklärungen erhoffen zu dürfen.
Der Freund quetschte sich zu der Frau in den Fond, statt neben Lobsang Platz zu nehmen. »Fahr los«, forderte er ihn auf.
Lobsang zögerte. Sein Blick schweifte in die Richtung, aus der Graulicht und seine Begleitung gekommen sein mussten, auch wenn er sie erst hier am Schweber bemerkt hatte. Unwillkürlich erwartete er dort die Hektik eines ausgelösten Alarms.
Aber es war unverändert ruhig.
»Ist alles so gelaufen, wie du es wolltest?«, wandte er sich an Graulicht.
»Eher besser«, behauptete sein Freund, ohne euphorisch zu klingen. Noch immer schien eine Last auf Graulichts Seele zu liegen, auch wenn seine Worte etwas anderes Glauben machen wollten.
»Sicher?«, fragte Lobsang deshalb.
Die Reaktion der Vermummten erfolgte völlig unerwartet. Plötzlich schoss eine Hand aus dem Stoff des Umhangs und grub sich in Lobsangs Schlüsselbein. Er hatte das Gefühl, das blanke Ende eines Strom führenden Drahts zu berühren und zuckte so heftig zusammen, dass er mit dem Kopf fast gegen den Windabweiser der Frontscheibe schlug.
Die Hand der Frau blieb, wo sie war, aber der Stromstoß wiederholte sich nicht. Langsam wich die Taubheit an der betroffenen Stelle, und ein unangenehmes Prickeln machte sich breit.
Lobsang startete den Antrieb des Schwebers, und endlich zog sich die Klaue - als solche empfand er sie - von ihm zurück. Tief seufzend lehnte sich Lobsang in den Sitz zurück und lenkte den Gleiter auf die Ausfallstraße, die nach Utopia führte.
Den Rest der Fahrt wartete er darauf, dass Graulicht zu sprechen und zu schildern begann, wie sein Ausflug in den Strahl verlaufen war. Aber der Freund saß nur stumm neben der vermummten Frau und starrte vor sich hin, wie sporadische Blicke in den Rückspiegel verrieten.
Lobsang wurde das Gefühl nicht los, dass er ein entscheidendes Detail übersah.
Aber der Groschen fiel erst, als sie bei ihrem gemieteten Haus ankamen und zu dritt darin verschwanden.
***
13. April 2526, Raumschiff CARTER IV
»Ich bin aufgeregt«, sagte Aruula. Sie sagte es zu ihrem Spiegelbild in der Hygienezelle der CARTER IV, und die Frau, die ihr dabei entgegenblickte, unterstrich das Gesagte mit ihren ernsten Augen und dem müden, wie übernächtigt wirkenden Ausdruck auf dem sonst so energischen, selbstbewussten Gesicht. »Aufgeregter als vor einem Kampf gegen Taratzen. Viel aufgeregter.«
Sie führte Selbstgespräche, denn sie war allein - allein mit ihrem Ebenbild. Maddrax war irgendwo an Bord unterwegs, um die letzten »Formalitäten« zu klären, wie es nun weitergehen würde. Das Raumschiff, das in längeren Abständen zwischen Mars und Erdmond pendelte, hatte seinen Heimathafen erreicht. Seit zwei Stunden lag es in einem Raumdock um den Mond Phobos vor Anker. Hier sollte die brisante Reparatur des Reaktors in Angriff genommen werden.
Ohne den Traumkraken und dessen besondere Fähigkeit, so führte sich Aruula vor Augen, hätte das Schiff nicht einmal die Nähe des Mars erreicht, und sie, Maddrax und Hi'schi säßen schon an Wudans Tafel.
Sie spürte die Annäherung des Mannes, der an ihrer Aufgeregtheit schuld war, noch bevor der Türöffner der Kabine von außen betätigt wurde. Rasch verließ Aruula die runde Hygienezelle und bezog in angespannter Haltung Position vor dem Schott, das gerade mit leisem Fauchen in der Wand verschwand.
Maddrax trat ein. Sein Lächeln, mit dem er ihre Blicke parierte, war ein Schild, der ihn nicht schützen konnte.
Nicht, wenn es um Chandra ging.
Vor einer Stunde hatte er sie auf seine Liebschaft angesprochen, hatte mit vielen Worten um ihr Verständnis gebuhlt. Natürlich hatte Aruula von dem Weib gewusst, schon seit sie Maddrax nach langer Odyssee am Uluru wiedergetroffen hatte. Doch damals hatte die Freude, dass er überhaupt noch lebte, alles andere überstrahlt.
Jetzt war es an der Zeit, sich näher mit ihrer Nebenbuhlerin zu befassen - von der Maddrax behauptete, sie wäre für ihn nur noch eine gute Freundin , mehr nicht.
Erzähl mir nichts von Männern , dachte Aruula grimmig. Vor allem keine Märchen. Die Kerle sind doch allesamt triebgesteuert.
Noch war ihre Rivalin ohne Gesicht. Alles, was sie in dem winzigen Moment des Lauschens in Maddrax' Gedanken über sie
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