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Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Aber dass die Horizontale durch zwei schräge Linien gekreuzt wurde, an denen oben die Namen Bunge und Revel, unten die Namen Harold Bloom und Allan Bloom zu lesen waren, ließ die Sache wie einen Scherz erscheinen. Ein Scherz, den Amalfitano übrigens nicht verstand, vor allem wegen des Nebeneinanders der beiden BIooms, worin sicherlich die Pointe lag, eine Pointe, die er nicht zu fassen bekam, sosehr er sie auch belauerte.
In jener Nacht, seine Tochter schlief schon, trat Amalfitano, nachdem er im populärsten Radiosender von Santa Teresa noch die letzten Nachrichten gehört hatte, hinaus in den Vorgarten, schaute, eine Zigarette rauchend, die menschenleere Straße hinunter und ging dann mit zögerlichen Schritten in den hinteren Teil, als fürchtete er, mit dem Fuß in ein Loch zu geraten, oder als machte die dort herrschende Dunkelheit ihm Angst. Das Buch von Dieste hing noch neben der Wäsche, die Rosa an diesem Tag gewaschen hatte, eine Wäsche, die aus Beton oder ähnlich schwerem Material zu bestehen schien, da sie sich überhaupt nicht bewegte, während der Wind, der in Böen einfiel, das Buch hin und her schaukelte, als würde er es missmutig in den Schlaf wiegen oder als wollte er es aus den Klammern reißen, mit denen es an der Leine hing. Amalfitano spürte den Lufthauch auf seinem Gesicht. Er schwitzte, und die unregelmäßigen Windstöße trockneten die Schweißperlen und verschlossen seine Seele. Als wäre ich in Trendelenburgs Arbeitszimmer, dachte er, als folgte ich Whitehead am Kanalufer entlang, als träte ich an Guyaus Krankenbett und bäte ihn um Rat. Was hätte er geantwortet? Seien Sie glücklich. Leben Sie den Augenblick. Seien Sie ein guter Mensch. Oder im Gegenteil: Wer sind Sie? Was tun Sie hier? Hauen Sie ab.
Hilfe.
Am nächsten Tag fand er in der Universitätsbibliothek weitere Informationen zu Dieste: Geboren 1899 in Rianxo, La Coruña. Schreibt zunächst auf Galicisch, wechselt später dann zum Kastilischen oder benutzt beide Sprachen parallel. Eingefleischter Theatermensch. Antifaschistisches Engagement während des Bürgerkriegs. Geht nach der Niederlage ins Exil, genauer gesagt nach Buenos Aires, wo 1945 von ihm der Band Reise, Trauer und Verderben: Tragödie, Spleen und Komödie erscheint, der drei schon früher publizierte Werke versammelt. Dichter und Essayist. 1958 - Amalfitano war gerade sieben Jahre alt veröffentlicht er das bereits erwähnte Neue Abhandlung über den Parallelismus. Sein bedeutendstes Werk als Autor von Kurzgeschichten ist Geschichten und Erfindungen von Felix Muriel (1943). Er kehrt nach Spanien zurück, nach Galicien. Stirbt dort 1981 in Santiago de Compostela.
Worum geht es bei dem Experiment?, sagte Rosa. Bei welchem Experiment?, sagte Amalfitano. Bei dem Buch auf der Leine, sagte Rosa. Das ist kein Experiment im eigentlichen Sinne, sagte Amalfitano. Warum hängt es da?, sagte Rosa. Ist mir plötzlich eingefallen, sagte Amalfitano, die Idee stammt von Duchamp, ein Geometriebuch dem Wetter auszusetzen, um zu sehen, ob es ein bisschen was vom Ernst des Lebens lernt. Du machst es noch kaputt, sagte Rosa. Ich nicht, sagte Amalfitano, die Natur. Du wirst mit jedem Tag verrückter, sagte Rosa. Amalfitano lächelte. Noch nie habe ich dich so etwas mit einem Buch machen sehen, sagte Rosa. Es gehört nicht mir, sagte Amalfitano. Das ist egal, sagte Rosa. Jetzt ist es deins. Eigenartig, sagte Amalfitano, so sollte es wohl sein, aber Tatsache ist, dass ich es nicht als mein Buch empfinde. Außerdem habe ich den Eindruck, fast die Gewissheit, dass ich ihm kein Leid zufüge. Tu so, als würde es mir gehören, und häng es ab, sagte Rosa, die Nachbarn werden glauben, du hast den Verstand verloren. Die Nachbarn? Leute, die Mauern mit Glasscherben spicken? Die wissen noch nicht einmal, dass es uns gibt, sagte Amalfitano, und sind tausendmal verrückter als ich. Nein, die nicht, sagte Rosa, die anderen, die genau sehen können, was in unserem Hof geschieht. Hat dich einer belästigt, fragte Amalfitano. Nein, sagte Rosa. Dann ist doch alles in Ordnung, sagte Amalfitano, zerbrich dir nicht über Unsinn den Kopf, in dieser Stadt geschehen viel schlimmere Dinge, als dass jemand ein Buch auf die Leine hängt. Eins rechtfertigt nicht das andere, sagte Rosa, wir sind keine Wilden. Lass das Buch in Frieden, sagte Amalfitano, tu so, als wäre es nicht da, vergiss es einfach, dich hat Geometrie doch nie interessiert.
Morgens bevor er in
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