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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Uhr abzulegen. Worauf Amalfitano, der im Alter von zehn Jahren keine Sportmagazine, sondern solche zur Geschichte, vor allem Militärgeschichte, las, erwiderte, dass vielmehr die Italiener diese Rolle gepachtet hätten und er sich damit auf den Zweiten Weltkrieg beziehe. Daraufhin schwieg Amalfitanos Vater und betrachtete seinen Sohn mit unverhohlener Bewunderung und Stolz, als fragte er sich, woher zum Teufel dieser Junge stamme, dann schwieg er wieder eine Weile, und dann sagte er leise, als verriete er ihm ein Geheimnis, der Italiener an sich sei sehr mutig. Er gab aber zu, dass sie im Kollektiv nur Witzfiguren seien. Und schloss mit der Bemerkung, dass eben darum noch Hoffnung sei.
    Woraus man folgern durfte, dachte Amalfitano, während er aus der Vordertür trat, mit einem Glas Whisky auf der Veranda stehen blieb, dann zur Straße hinausschaute, wo einige parkende Autos standen, für Stunden verlassene Autos, die, so zumindest kam es ihm vor, nach Schrott und Blut rochen, bevor er nicht durch das Haus, sondern im Bogen um das Haus in den hinteren Garten schlenderte, wo ihn in der Stille und Dunkelheit das Geometrische Vermächtnis erwartete, dass er im Grunde, im tiefsten Grunde, ein Mensch war, für den noch Hoffnung bestand, da in seinen Adern italienisches Blut floss, außerdem Individualist und ein gebildeter Mensch. Er war möglicherweise nicht einmal feige. Obwohl er für Boxen nichts übrig hatte. Aber dann flatterte Diestes Buch im Wind, und die Brise trocknete mit einem schwarzen Taschentuch den Schweiß, der von seiner Stirn perlte, und Amalfitano schloss die Augen und versuchte sich an irgendein Bild seines Vaters zu erinnern, vergeblich. Als er ins Haus zurückkehrte, nicht durch die hintere, sondern durch die Vordertür, streckte er den Kopf über den Zaun und schaute nach bei den Richtungen die Straße hinunter. In manchen Nächten kam es ihm so vor, als würde man ihn ausspionieren.
    Morgens, wenn Amalfitano nach seinem obligatorischen Besuch bei Diestes Buch in die Küche kam und seine Kaffeetasse in die Spüle stellte, war Rosa die Erste, die das Haus verließ. Normalerweise verabschiedeten sie sich nicht, nur manchmal, wenn er früher hereinkam oder den Gang in den Garten auf später verschob, schaffte es Amalfitano, ihr auf Wiedersehen zu sagen oder sie zu ermahnen, auf sich aufzupassen, oder ihr einen Kuss zu geben. Eines Morgens hatte er ihr nur auf Wiedersehen sagen können, dann hatte er sich an den Tisch gesetzt und durchs Fenster die Wäscheleine betrachtet. Das Geometrische Vermächtnis bewegte sich unmerklich. Plötzlich bewegte es sich nicht mehr. Die Vögel, die im Nachbargarten sangen, verstummten. Einen Augenblick lang herrschte völlige Stille. Amalfitano glaubte, das Zuschlagen der Haustür und die sich entfernenden Schritte seiner Tochter zu hören. Dann hörte er einen Motor starten. Am Abend, als Rosa einen Film sah, den sie sich ausgeliehen hatte, rief Amalfitano bei Frau Professor Pérez an und gestand ihr, dass es mit seinen Nerven stetig bergab ging. Frau Professor Pérez beruhigte ihn, sagte, er müsse sich keine übertriebenen Sorgen machen, einige Vorsichtsmaßnahmen würden genügen, man dürfe jetzt nicht paranoid werden, auch erinnerte sie ihn daran, dass die Opfer gewöhnlich in anderen Teilen der Stadt entführt würden. Amalfitano hörte sie reden und begann unvermittelt zu lachen. Er sagte, er habe Nerven wie Drahtseile. Die Professorin verstand den Witz nicht. Ärgerlich dachte Amalfitano, dass hier niemand irgendetwas verstand. Danach versuchte die Professorin ihn zu überreden, gemeinsam mit Rosa und ihrem Sohn am Wochenende aufs Land zu fahren. Und wohin, sagte Amalfitano fast unhörbar. Wir könnten zum Essen in ein Ausflugslokal fahren, das etwa zwanzig Kilometer außerhalb der Stadt liegt, sagte sie, ein sehr angenehmer Ort, mit Swimmingpool für die jungen Leute und einer riesigen Schattenterrasse, von der aus man auf die Ausläufer eines Quarzgebirges sehe, eines silbrigen, von schwarzen Adern durchzogenen Gebirges.
    Oben im Gebirge gebe es eine Einsiedelei aus schwarzem Backstein. Das Innere sei dunkel, nur durch eine Art Dachluke falle Licht, und die Wände seien mit Dankgebeten von Reisenden und Indianern aus dem neunzehnten Jahrhundert übersät, die den Mut gehabt hatten, den Gebirgskamm zu überqueren, der Chihuahua von Sonora trenne.
    Die ersten Tage in Santa Teresa und in der Universität waren entsetzlich, obwohl Amalfitano das nur teilweise

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