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Araukanern finden wollten, hätten wir Mühe, sie zu finden, und noch größere Mühe, sie zu beweisen. Weil sich bei den Brüdern Carrera, Mackenna, Freire, Manuel Rodríguez und anderen Helden nur die iberische Abstammung zeigt. Bei wem die araukanische Abstammung jedoch sogleich ins Auge springt und taghell leuchtet, das ist bei Bernardo O'Higgins, und solches zu beweisen, existieren 17 Beweise. Bernardo ist nicht der uneheliche Sohn, als den einige Historiker ihn mit Bedauern beschreiben, während andere ihre Genugtuung darüber kaum verhehlen können. Er ist der stolze und legitime Sohn des Gouverneurs von Chile und Vizekönigs von Peru, Ambrosio O'Higgins, eines gebürtigen Iren, und einer Araukanerin von einem der größten Stämme Araukaniens. Die Ehe wurde nach dem Gesetz des Admapu geschlossen, verbunden mit dem traditionellen Gapitun, der Zeremonie des Brautraubs. Just zur Zweihundertjahrfeier seines Geburtstags lüftet die Biographie des Befreiers das tausendjährige araukanische Geheimnis; sie springt vom Litrang aufs Papier, so getreulich, wie nur ein Epeutufe es vermag.« Und damit endete das Vorwort, unterschrieben von José R. Pichiñual, Kazike von Puerto Saavedra.
Merkwürdig, dachte Amalfitano mit dem Buch in der Hand. Merkwürdig, höchst merkwürdig. Zum Beispiel das einzige Sternchen. Litrang: Glatte Schieferplatten, in welche die Araukaner ihre Schriftzeichen ritzten. Warum ein Sternchen neben das Wort Litrang setzen, nicht aber neben die Worte Admapu oder Epeutufe? Ging der Kazike von Puerto Saavedra davon aus, dass sie zur Genüge bekannt waren? Und dann der Satz zur angeblichen Mischlingsgeburt von O'Higgins: Er ist nicht der uneheliche Sohn, als den einige Historiker ihn mit Bedauern beschreiben, während andere ihre Genugtuung darüber kaum verhehlen können. Da liegt die ganze Alltagsgeschichte, die Individualgeschichte, die Mentalitätsgeschichte Chiles vor uns. Über den Vater der Nation zu schreiben und dabei seine uneheliche Geburt zu bedauern. Oder darüber zu schreiben und eine gewisse Genugtuung nicht verhehlen zu können. Sätze, die vielsagender nicht sein könnten, dachte Amalfitano und erinnerte sich, wie er zum ersten Mal das Buch von Kilapán gelesen und sich halb totgelacht hatte, und wie er es heute las, mit einem gewissen Schmunzeln, aber auch mit einem gewissen Schmerz. Ambrosio O'Higgins als Ire war natürlich ein guter Witz. Ambrosio O'Higgins, der eine Araukanerin heiratete, aber nach dem Gesetz des Admapu und obendrein gekrönt vom traditionellen Gapitun, der Zeremonie des Brautraubs, einem bloßen Euphemismus für Missbrauch, für Vergewaltigung, hielt er für einen makabren Scherz, einen zusätzlichen Spaß, den der Dickwanst Ambrosio sich geleistet hatte, um die Indianerin ungestört vögeln zu können. Ich kann an nichts denken, ohne dass das Wort Vergewaltigung seine wehrlosen Säugetieräuglein aufschlägt, dachte Amalfitano. Dann schlief er im Sessel ein, das Buch in der Hand. Vielleicht träumte er etwas. Etwas Kurzes. Vielleicht träumte er von seiner Kindheit. Vielleicht nicht.
Er wachte wieder auf, kochte für sich und seine Tochter etwas zu essen, verkroch sich dann in sein Arbeitszimmer und fühlte sich schrecklich müde, unfähig, ein Seminar vorzubereiten oder etwas Vernünftiges zu lesen, weshalb er resigniert zu seinem Kilapán zurückkehrte. 17 Beweise. Beweis Nummer 1 lautete Er kam im araukanischen Staat zur Welt. Weiter hieß es: »Der Yekmonchi 1 namens Chile 2 deckte sich, geographisch und politisch, mit dem griechischen Staat und beschreibte, wie dieser, ein Delta zwischen dem 35. und dem 42. Grad jeweiliger Breite.« Abgesehen von der Grammatik (anstelle von beschreibte hätte es beschrieb heißen müssen, mindestens zwei Kommas waren zu viel) war der erste Absatz vor allem durch seine, sagen wir, militärische Haltung interessant. Gleich zu Anfang ein rechter Haken oder eine volle Breitseite auf das Zentrum der feindlichen Stellung. Fußnote 1 verriet, dass Yekmonchi Staat bedeute, Fußnote 2 behauptete, Chile sei ein griechisches Wort, das als »ferner Stamm« zu übersetzen sei. Daran schlossen sich die geographischen Erläuterungen zum Yekmonchi Chile an: »Er erstreckte sich vom Rio Maullis bis Chiligüe sowie auf den argentinischen Westen. Die Ciudad Madre rectora, oder Chile im engeren Sinne, lag zwischen den Flüssen Butaleufu und Toltén; wie der griechische Staat war sie umringt von verbündeten oder blutsverwandten Völkern, die
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