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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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hinführen. Zu einem der wenigen Orte in dieser Gegend, wo man noch echten mexikanischen Mezcal bekommt, erwiderte der junge Guerra.
    Der Ort hieß Los Zancudos und war ein Rechteck von dreißig Metern Länge und zehn Metern Breite mit einem kleinen Podium am Ende, auf dem freitags und samstags Gruppen auftraten, die Corridos oder Countrymusik spielten. Die Theke maß volle fünfzehn Meter. Die Toiletten waren draußen und vom Hof aus direkt zugänglich oder von der Kneipe aus über einen schmalen Gang aus Blechwänden. Wenige Gäste saßen herum. Die Kellner, die Marco Antonio mit Namen kannte, grüßten, aber keiner kam, um sie zu bedienen. Nur ein paar Lichter brannten. Wenn ich Ihnen etwas empfehlen darf, bestellen Sie Mezcal Los Suicidas, sagte Marco Antonio. Amalfitano lächelte liebenswürdig und nickte, aber nur ein Gläschen, sagte er. Marco Antonio hob eine Hand und schnippte. Diese Idioten sind offenbar taub, sagte er. Er stand auf und ging zur Theke. Nach einer Weile kam er mit zwei Gläsern und einer halbvollen Flasche zurück. Probieren Sie mal, sagte er. Amalfitano nahm einen Schluck und fand ihn gut. Unten in der Flasche müsste ein Wurm schwimmen, sagte Guerra, sicher haben diese Hungerleider ihn sich schon geangelt. Das sollte offenbar ein Witz sein, und Amalfitano lachte. Aber ich versichere Ihnen, das ist echter Mezcal Los Suicidas, Sie können ihn beruhigt trinken, sagte Marco Antonio. Beim zweiten Schluck dachte Amalfitano, dass es sich da wirklich um einen außerordentlichen Tropfen handelte. Wird nicht mehr hergestellt, sagte Marco Antonio, wie so vieles in diesem erbärmlichen Land. Und nach einer Weile sagte er, wobei er Amalfitano fest ansah: Wir gehen vor die Hunde, das haben Sie sicher schon gemerkt, nicht wahr, Professor? Amalfitano antwortete, die Situation biete keinen Anlass, Freudentänze aufzuführen, ohne zu erläutern, worauf er anspielte, und ohne konkreter zu werden. Alles zerrinnt zwischen den Fingern, sagte Marco Antonio Guerra. Die Politiker sind unfähig zu regieren. Die Mittelklasse denkt nur daran, sich in die Vereinigten Staaten abzusetzen. Und immer mehr Leute kommen zum Arbeiten in die Maquiladoras. Wissen Sie, was ich tun würde? Nein, sagte Amalfitano. Ich würde einige abbrennen. Einige was?, fragte Amalfitano. Einige Maquiladoras. Ach Unsinn, sagte Amalfitano. Außerdem würde ich das Militär auf die Straße schicken, oder vielmehr nicht auf die Straße, sondern auf die Autobahnen, um zu verhindern, dass immer neue Hungerleider herkommen. Autobahnkontrollen?, fragte Amalfitano. Na ja, das ist die einzige Lösung, die ich sehe. Wahrscheinlich gibt es noch andere, sagte Amalfitano. Die Leute haben jeden Respekt verloren, sagte Marco Antonio Guerra. Respekt vor anderen und Respekt vor sich selbst. Amalfitano schaute zur Theke. Drei Kellner tuschelten miteinander und schauten aus den Augenwinkeln zu ihrem Tisch herüber. Ich glaube, es wäre das Beste, wir würden gehen, sagte Amalfitano. Marco Antonio Guerra fixierte die Kellner, machte eine obszöne Geste und lachte schallend. Amalfitano packte ihn am Arm und zog ihn zum Parkplatz. Es war bereits dunkel, und eine riesige Leuchtreklame mit einer langbeinigen Stechmücke blinkte über einem Eisengerüst. Ich habe den Eindruck, diese Leute haben etwas gegen Sie, sagte Amalfitano. Keine Sorge, Professor, ich bin bewaffnet.
    Zu Hause angekommen, vergaß Amalfitano den jungen Guerra sofort wieder und dachte, er sei vielleicht doch nicht so verrückt, wie er geglaubt hatte, und die Stimme auch keine ruhelose Seele. Er dachte an Telepathie. Er dachte an die Telepathen der Mapuche oder Araukaner. Er erinnerte sich an ein dünnes Büchlein, keine hundert Seiten stark, von einem gewissen Lonko Kilapán, erschienen 1978 in Santiago de Chile, das ihm ein alter Freund und eingefleischter Witzbold geschickt hatte, als er noch in Europa lebte. Dieser Kilapán gab sich selbst die nachfolgenden Referenzen mit auf den Weg: Rassenhistoriker, Präsident der Indigenen Konföderation Chiles und Sekretär der Akademie der Araukanischen Sprache. Das Buch hieß O'Higgins ist Araukaner und im Untertitel 17 Beweise, entnommen der Geheimen Geschichte Araukaniens. Zwischen Titel und Untertitel hatte man den Satz eingefügt: Text mit Billigung des Araukanischen Rates der Geschichte. Dann kam das Vorwort, das folgendermaßen lautete: »Vorwort. Wenn wir bei den Helden der chilenischen Unabhängigkeit Beweise für eine Verwandtschaft mit den

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