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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Tochter, die selbstverständlich auch eingeladen war, das Gleiche tat oder nicht, schließlich konnte sie zum Essen anziehen, was sie wollte, er, Amalfitano, jedoch tat besser daran, sich wenigstens in Schlips und Jackett bei Doktor Negrete zu Hause einzufinden. Das Abendessen sollte übrigens nichts Überkandideltes sein. Doktor Negrete wollte ihn einfach kennenlernen und nahm an, oder wurde darauf hingewiesen, dass ein erstes Treffen in den Büros des Rektorats sehr viel unpersönlicher wirkte als ein erstes Treffen in der einladenden Umgebung seines eigenen Hauses, das in Wirklichkeit eine noble zweigeschossige Villa war, mit einem üppigen Garten außen herum, in dem Pflanzen aus ganz Mexiko wuchsen und kein Mangel an kühlen, abgeschiedenen Plätzchen herrschte, um dort en petit comité beisammenzusitzen. Doktor Negrete war ein schweigsamer, in sich gekehrter Mann, der lieber den anderen zuhörte, als selbst in der Unterhaltung das Szepter zu schwingen. Er interessierte sich für Barcelona, erzählte, dass er in jungen Jahren einen Kongress in Prag besucht habe, erinnerte an einen ehemaligen Professor der Universität von Santa Teresa, einen Argentinier, der jetzt an der Universität von Kalifornien lehrte, und während der übrigen Zeit schwieg er. Seine Frau, deren Züge eine vergangene Schönheit erahnen ließen, in jedem Fall aber eine Haltung und Vornehmheit, die dem Rektor abging, benahm sich Amalfitano und vor allem Rosa gegenüber, die sie an ihre jüngste Tochter erinnerte, die wie sie Clara hieß und seit Jahren in Phoenix lebte, sehr viel liebenswürdiger. Einmal während des Essens war ihm, als hätte er einen ziemlich finsteren Blickwechsel zwischen dem Rektor und seiner Frau bemerkt. Während er in ihren Augen etwas wahrnahm, das dem Hass nicht unähnlich war, huschte über das Gesicht des Rektors eine plötzliche Angst. Das dauerte nicht länger als der Flügelschlag eines Schmetterlings, aber Amalfitano bemerkte es, und für einen Augenblick (die Flügelschlagsekunde) drohte die Angst des Rektors auch seine Haut zu streifen. Als er sich davon erholt hatte und die anderen Gäste musterte, stellte er fest, dass niemand ihn bemerkt hatte, diesen winzigen Schatten wie ein hastig ausgehobenes Grab, das einen beunruhigenden Gestank verströmte.
    Aber er hatte sich getäuscht. Der junge Marco Antonio Guerra hatte ihn durchaus bemerkt. Und obendrein hatte er bemerkt, dass auch Amalfitano ihn bemerkt hatte. Das Leben ist wertlos, flüsterte er ihm zu, als sie in den Garten gingen. Rosa setzte sich zu der Frau des Rektors und Frau Professor Pérez. Der Rektor setzte sich in den einzigen Schaukelstuhl, den es in der Laube gab. Dekan Guerra und zwei Philosophieprofessoren setzten sich neben ihn. Die Frauen der Professoren scharten sich um die Frau des Rektors. Ein dritter, unverheirateter, Professor blieb neben Amalfitano und dem jungen Guerra stehen. Nach einer Weile kam eine alte Dienerin, fast eine Greisin, mit einem riesigen Tablett voller Gläser herein, die sie auf dem Marmortisch verteilte. Amalfitano wollte ihr schon zur Hand gehen, dachte dann aber, dass man das auch als Unhöflichkeit missverstehen konnte. Als die Alte dann mit über sieben schwankenden Flaschen wiederkam, konnte Amalfitano nicht mehr an sich halten und trat vor, um ihr zu helfen. Als die Alte ihn sah, riss sie die Augen weit auf, und das Tablett begann ihr aus den Händen zu gleiten. Amalfitano hörte den Schrei, ein lächerliches Schreichen, das eine der Professorengattinnen ausstieß, und im selben Moment, als das Tablett sich neigte, sah er den Schatten des jungen Guerra, der alles wieder ins Lot brachte. Mach dir nichts draus, Chachita, hörte er die Frau des Rektors sagen. Dann hörte er, wie der junge Guerra, nachdem er die Flaschen auf dem Tisch deponiert hatte, Doña Clara fragte, ob sie in ihrem Getränkeschrank nicht Mezcal Los Suicidas verwahre. Und er hörte auch den Dekan Guerra sagen: Achten Sie nicht auf ihn, das sind so die Marotten meines Sohnes. Und hörte Rosa sagen: Mezcal Los Suicidas, so ein hübscher Name. Und hörte, wie die Frau eines Professors sagte: Was für ein origineller Name, nein wirklich. Und hörte Frau Professor Pérez: Mir zittern noch die Knie, ich dachte, alles geht zu Bruch. Und hörte den Philosophieprofessor, der, um das Thema zu wechseln, von nordmexikanischer Musik anfing. Und hörte Dekan Guerra sagen, der Unterschied zwischen einer Musikergruppe aus dem Norden und einer aus den anderen

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