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aus.
Der Barkeeper lehnte sich zu ihm herüber und sagte, er sei früher Boxer gewesen.
»Meinen letzten Kampf hatte ich in Athens, South Carolina. Gegen einen weißen Typen. Was glaubst du, wer gewonnen hat?«
Fate sah ihm in die Augen, machte eine unverständliche Mundbewegung und bestellte noch ein Bier.
»Meinen Manager hatte ich seit vier Monaten nicht mehr gesehen. Ich zog allein rum, mit meinem Trainer, dem alten Johnny Turkey, klapperte die Städte von South Carolina und North Carolina ab und übernachtete in den schlimmsten Absteigen. Wir torkelten durch die Gegend, ich wegen der Treffer, die ich einstecken musste, und der alte Turkey, weil er schon über achtzig war. Ja, achtzig oder sogar dreiundachtzig. Vor dem Einschlafen, wenn schon das Licht aus war, stritten wir manchmal darüber. Turkey sagte, dass er gerade mal achtzig sei. Ich, dass er dreiundachtzig sei. Der Kampf war eine abgekartete Sache. Der Veranstalter sagte, ich solle mich in der fünften Runde fallen lassen. Und mich in der vierten ein bisschen verprügeln lassen. Dafür würden sie mir das Doppelte des Versprochenen bezahlen, was nicht viel war. Ich erzählte das Turkey am Abend beim Essen. Ich habe damit kein Problem, sagte er. Kein Problem. Das Problem ist, dass solche Leute in der Regel hinterher ihr Versprechen nicht halten. Du wirst sehen. Das hatte er gesagt.«
Als er zur Wohnung von Seaman zurückging, war ihm leicht übel. Ein riesiger Mond kroch über die Dächer. An einem der Hauseingänge sprach ihn ein Typ an und sagte etwas, das er entweder nicht verstand oder unverschämt fand. Ich bin ein Freund von Barry Seaman, du Dreckskerl, sagte er und suchte ihn am Aufschlag seiner Lederjacke zu packen.
»Ruhig«, sagte der Typ. »Immer mit der Ruhe, Bruder.«
In der Tiefe des Hauseingangs sah er vier Paar gelbe Augen, die in der Dunkelheit leuchteten, und in der herabhängenden Hand des Typen, den er festhielt, einen flüchtigen Widerschein des Mondes.
»Hau ab, wenn du länger leben willst«, sagte er.
»Ruhig, Bruder, lass mich erst mal los«, sagte der Typ.
Fate ließ ihn los und hielt über den Dächern der anderen Straßenseite Ausschau nach dem Mond. Er folgte ihm. Beim Weitergehen hörte er aus den Seitenstraßen Geräusche, Schritte, Laufen, als wäre ein Teil des Viertels gerade aufgewacht. Vor Seamans Haus entdeckte er seinen Mietwagen. Er untersuchte ihn. Sie hatten ihn unversehrt gelassen. Dann drückte er den Knopf an der Klingelanlage, und eine Stimme fragte übellaunig, was er wolle. Fate nannte seinen Namen und sagte, er sei der Korrespondent von der Schwarzen Morgenröte. In der Gegensprechanlage erklang ein befriedigtes Kichern. Hereinspaziert, sagte die Stimme. Er kroch auf allen vieren die Treppe hoch. Irgendwann wurde ihm klar, dass es ihm nicht gut ging. Seaman erwartete ihn auf dem Treppenabsatz.
»Ich brauche ein Klo«, sagte Fate.
»Jesusmaria«, sagte Seaman.
Das Wohnzimmer war klein und bescheiden eingerichtet, überall lagen Bücher herum, an den Wänden hingen Plakate und in den Regalen, auf dem Tisch und über dem Fernseher standen kleine Fotos.
»Die zweite Tür«, sagte Seaman.
Fate ging hinein und übergab sich.
Als er erwachte, sah er Seaman, der mit einem Kugelschreiber etwas schrieb. Neben ihm lagen vier dicke Bücher und mehrere Mappen mit Papieren. Seaman trug beim Schreiben eine Brille. Er stellte fest, dass drei der vier Wälzer Wörterbücher waren und der vierte eine Kurzgefasste Französische Enzyklopädie, von der er weder auf der Universität noch jemals sonst in seinem Leben etwas gehört hatte. Die Sonne schien durchs Fenster. Er schlug die Decke zurück und setzte sich im Sofa auf. Er fragte Seaman, was geschehen sei. Der Alte sah ihn über die Brillengläser hinweg an und erbot sich, ihm eine Tasse Kaffee zu bringen. Seaman war mindestens eins achtzig groß, ging aber gebeugt, was ihn kleiner erscheinen ließ. Er verdiente sich sein Geld mit Vorträgen, die meist schlecht bezahlt waren, da er in der Regel von Bildungseinrichtungen eingeladen wurde, die in den Ghettos arbeiteten, und ab und zu von kleinen, fortschrittlichen Universitäten, die über keinen nennenswerten Etat verfügten. Vor ein paar Jahren hatte er ein Buch mit dem Titel Rippchen essen mit Barry Seaman veröffentlicht, eine Sammlung aller Rippchen-Rezepte, die er kannte, überwiegend für Pfanne oder Grill, denen er interessante oder extravagante Anekdoten beifügte, wo er das jeweilige Rezept gefunden
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