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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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ziemlich klein war, aber mir kam es vor, als hätte eine europäische Prinzessin mir ihr Schloss angeboten, damit ich eine Weile ausruhen konnte. Meine Tage verliefen eintönig, aber sie besaßen etwas, das ich mit meiner heutigen Erfahrung ohne zu zögern Glück nennen würde. Die einzigen Leute, mit denen ich damals regelmäßig verkehrte, waren meine Schwester, der gütigste Mensch auf der Welt, und mein Bewährungshelfer, ein Fettwanst, der mich manchmal in seinem Büro zu einem Whisky einlud und zu sagen pflegte: Wie kommt es, dass du so ein schlimmer Finger warst, Barry? Zuweilen dachte ich, dass er mich damit provozieren wollte. Zuweilen dachte ich: Dieser Typ steht auf der Gehaltsliste der kalifornischen Polizei und will mich provozieren, um mir dann eine Kugel in den Bauch zu jagen. Erzähl mir von deinen E..., Barry, sagte er in Anspielung auf die Attribute meiner Männlichkeit, oder: Erzähl mir von den Typen, die du umgelegt hast. Red schon, Barry. Na los. Und öffnete die Schreibtischschublade, in der, wie ich wusste, seine Pistole lag, und wartete. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu reden. Ich sagte: Nun, Lou, ich habe zwar nicht Präsident Mao kennengelernt, dafür aber Lin Piao, der uns am Flughafen in Empfang nahm, Lin Piao, der später Präsident Mao umlegen wollte und der auf der Flucht nach Russland bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam. Ein kleiner Typ und flinker als eine Schlange. Kannst du dich an Lin Piao erinnern? Und Lou sagte, er habe von einem Lin Piao noch nie etwas gehört. Nun, Lou, sagte ich, er war eine Art Minister oder Staatssekretär in China. Und damals gab es dort nicht viele Amerikaner, das kannst du mir glauben. In gewisser Weise waren wir es, die Kissinger und Nixon den Weg geebnet haben. Und das konnte mit Lou drei Stunden so weitergehen, er, der wollte, dass ich ihm von den Typen erzähle, die ich hinterrücks ermordet habe, und ich, der ich ihm von den Politikern und Ländern erzählte, die ich kennengelernt hatte. Bis ich ihn mir, meiner christlichen Langmut sei Dank, endlich vom Hals schaffen konnte. Ich habe ihn nie wiedergesehen. Vermutlich ist er an Leberzirrhose gestorben. Mein Leben ging weiter, mit den üblichen Aufregungen und dem üblichen Gefühl von Vorläufigkeit. Dann erinnerte ich mich eines Tages, dass es etwas gab, das ich nicht vergessen hatte. Ich hatte nicht vergessen, wie man kocht. Ich hatte meine Schweinekoteletts nicht vergessen. Mit Unterstützung meiner Schwester, die eine Heilige war und für ihr Leben gern über solche Dinge sprach, schrieb ich alle Rezepte auf, die mir einfielen, Rezepte meiner Mutter, Rezepte, die ich im Gefängnis erstellt hatte, die ich jetzt samstags zu Hause auf der Dachterrasse für meine Schwester zubereitete, obwohl sie sich nicht viel aus Fleisch machte, wie ich gestehen muss. Und als das Buch fertig war, fuhr ich nach New York, um einige Verleger zu treffen, und einer von ihnen war interessiert, und den Rest kennt ihr bereits. Das Buch brachte mich wieder ins Gespräch. Ich lernte, Kochkunst und Erinnerung miteinander zu verbinden. Lernte, Kochkunst und Geschichte miteinander zu verbinden. Ich lernte, die Kochkunst mit meiner Dankbarkeit zu verbinden, mit meiner Verblüffung darüber, wie viele Menschen gut zu mir waren, allen voran meine verstorbene Schwester, aber auch etliche andere. Lassen Sie mich das kurz näher erläutern. Wenn ich Verblüffung sage, meine ich damit auch Verwunderung. Also eine durch etwas Außergewöhnliches hervorgerufene Bewunderung. Wie die Wunderblume oder die blaue Azalee oder der Hauswurz. Mir wurde aber auch klar, dass das nicht reichte. Ich konnte nicht ewig bei meinen berühmten und total leckeren Rezepten stehenbleiben. So viel geben Rippchen nicht her. Man muss sich verändern. Sich umtun und sich verändern. Man muss wissen, wie man sucht, auch wenn man nicht weiß, was man sucht. Wen es interessiert, der kann schon einmal Papier und Bleistift herausholen, denn ich werde ein neues Rezept verraten. Das Rezept für Ente mit Orange. Für die tägliche Küche nicht zu empfehlen, da nicht ganz billig und mit einer mindestens anderthalbstündigen Zubereitungszeit verbunden, aber einmal alle zwei Monate oder als Geburtstagsessen keine schlechte Sache. Hier die Zutaten für vier Personen: Eine Ente von anderthalb Kilo, fünfundzwanzig Gramm Butter, vier Knoblauchzehen, zwei Gläser Brühe, ein Bund Kräuter, em Esslöffel Tomatenmark, vier Orangen, fünfzig Gramm Zucker, drei

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