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Wärter herumliefen und sich bei der Wachablösung freundliche Worte zuwarfen, die in meinen Ohren wie Beleidigungen klangen und, wenn ich jetzt darüber nachdenke, vielleicht wirklich Beleidigungen waren. Ich tat etwas Nützliches. Etwas Nützliches, man mag es drehen und wenden, wie man will. Lesen ist wie denken, wie beten, wie mit einem Freund reden, wie seine Ideen darstellen, wie den Ideen der anderen lauschen, wie Musik hören (doch, doch), wie eine Landschaft betrachten, wie am Strand spazieren gehen. Und ihr, nett wie ihr seid, ihr fragt euch jetzt: Was hast du damals gelesen, Barry? Ich habe alles gelesen. Vor allem aber erinnere ich mich an ein Buch, das ich in einem der finstersten Momente meines Lebens in die Finger bekam und durch das ich meine Heiterkeit wiedergefunden habe. Welches Buch das war? Welches Buch das war? Nun, es war ein Buch mit dem Titel Kurzes Kompendium der Werke Voltaires, und ich versichere euch, dass es sehr nützlich ist, zumindest war es das für mich.
In dieser Nacht schlief Fate, nachdem er Seaman zu Hause abgesetzt hatte, in dem Hotel, das die Zeitung für ihn von New York aus gebucht hatte. Der Mann an der Rezeption sagte, man habe ihn bereits am Vortag erwartet, und händigte ihm eine Nachricht seines Ressortchefs aus, der wissen wollte, wie die Sache gelaufen sei. Von seinem Zimmer aus rief er ihn in der Zeitung an, wissend, dass um diese Zeit niemand in der Redaktion sein würde, und hinterließ eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, in der er ihm in groben Zügen sein Treffen mit dem Alten schilderte.
Er duschte und ging ins Bett. Er suchte im Fernsehen nach einer Pornosendung. Er fand einen Film, in dem eine Deutsche mit zwei Schwarzen vögelte. Die Deutsche sprach deutsch, und auch die Schwarzen sprachen deutsch. Er fragte sich, ob es auch in Deutschland Schwarze gab. Dann verlor er die Lust und wechselte zu einem gebührenfreien Kanal. Er landete bei einer Reality-Show, in der sich eine etwa vierzigjährige dicke Frau von ihrem Mann, einem dicken Fünfunddreißigjährigen, und seiner neuen Freundin, einer dicklichen Dreißigjährigen, beleidigen lassen musste. Der Typ, dachte Fate, war eindeutig schwul. Die Sendung kam aus Florida. Alle waren im T-Shirt, nur der Moderator trug ein weißes Sakko, khakifarbene Hosen, ein graugrünes Hemd und eine marmorweiße Krawatte. Es hatte zeitweilig den Anschein, als fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut. Angestachelt von seiner dicklichen Freundin, gestikulierte und zappelte der Dickwanst wie ein Rapper. Die dicke Ehefrau dagegen schaute nur stumm ins Publikum, bis sie irgendwann kommentarlos zu weinen anfing.
Hier muss doch jetzt Schluss sein, dachte Fate. Aber die Sendung oder der Ausschnitt der Sendung war hier noch nicht zu Ende. Angesichts der Tränen seiner Frau verdoppelte der Dicke seine verbalen Angriffe. Unter anderem glaubte Fate das Wort Fettsau verstanden zu haben. Außerdem sagte er, er werde nicht zulassen, dass sie ihm noch länger sein Leben kaputtmache. Ich gehöre dir nicht, sagte er. Er gehört dir nicht, sagte seine dickliche Freundin, es wird Zeit, dass dir einer die Augen öffnet. Nach einer Weile reagierte die dicke Frau. Sie stand auf und sagte, sie könne das nicht länger ertragen. Sie sagte das weder zu ihrem Mann noch zu seiner Freundin, sondern direkt zum Moderator. Der sagte, sie solle die Situation annehmen und ihrerseits sagen, was sie für richtig halte. Man hat mich mit einem Trick in die Sendung gelockt, sagte die Frau immer noch weinend. Niemand wird mit Tricks in die Sendung gelockt, sagte der Moderator. Sei nicht feige und hör dir an, was er dir zu sagen hat, sagte die Freundin des Dicken. Hör dir an, was ich dir zu sagen habe, sagte der Dicke und zappelte um sie herum. Die Frau hob eine Hand wie einen Prellbock und verließ das Fernsehstudio. Die dickliche Freundin setzte sich hin. Nach einer Weile nahm auch der Dicke Platz. Der Moderator, der im Publikum saß, fragte den Dicken, welchen Beruf er ausübe. Im Moment bin ich arbeitslos, aber bis vor kurzem war ich beim Wachschutz, sagte er. Fate schaltete um. Er nahm sich aus der Minibar ein Fläschchen Whisky der Marke Stier von Tennessee. Schon der erste Schluck verursachte ihm einen Brechreiz. Er verschloss das Fläschchen und stellte es zurück in die Minibar. Nach einer Weile schlief er bei laufendem Fernseher ein.
Während Fate schlief, kam eine Reportage über eine in Santa Teresa im nordmexikanischen Bundesstaat Sonora
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