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Resort zu bekommen. Fate sah sich das Hotel an und hatte den Eindruck, als fände dort ein Treffen mexikanischer Sportreporter statt. Die meisten sprachen Englisch und waren, zumindest auf den ersten Blick, erheblich angenehmere Zeitgenossen als die US-amerikanischen Journalisten, die er vorhin kennengelernt hatte. Einige schlossen an der Hotelbar Wetten auf den Kampf ab, und im Großen und Ganzen wirkten alle glücklich und unbekümmert, letztlich beschloss Fate aber doch, in seinem Motel zu bleiben.
Trotzdem führte er von einem Telefon im Sonora Resort ein R-Gespräch mit seiner Redaktion und bat, mit dem Sportchef verbunden zu werden. Die Frau am Apparat sagte, es sei niemand im Haus.
»Die Büros sind leer«, sagte sie.
Sie hatte eine heisere, wehleidige Stimme und redete nicht wie eine New Yorker Sekretärin, sondern wie eine Bäuerin, die gerade vom Friedhof kommt. Diese Frau kennt den Planeten der Toten aus erster Hand, dachte Fate, und weiß schon nicht mehr, was sie sagt.
»Ich rufe später wieder an«, sagte er und legte auf.
Fates Mietwagen folgte den Fahrzeugen der mexikanischen Journalisten, die Merolino Fernandez interviewen wollten. Das Quartier des Boxers befand sich auf einer Ranch außerhalb von Santa Teresa, die er ohne die Hilfe der Journalisten niemals gefunden hätte. Über ein Gewirr von unbefestigten und unbeleuchteten Straßen durchquerten sie einen Außenbezirk der Stadt. Nachdem sie Baustellen und Brachflächen passiert hatten, auf denen sich der Müll der Armen häufte, entstand für Momente der Eindruck, sie würden gleich offenes Land erreichen, aber dann tauchte doch wieder ein Stadtteil vor ihnen auf, ein älterer diesmal, mit Lehmziegelhäusern, um die herum Hütten aus Pappe, Wellblech und Verpackungsmaterial emporgeschossen waren, die der Sonne und dem gelegentlichen Regen trotzten und offenbar mit der Zeit regelrecht versteinert waren. Nicht nur die Vegetation war hier eine andere, sogar die Mücken schienen einer besonderen Spezies anzugehören. Dann ging es über einen Feldweg, der von einem sich allmählich verfinsternden Horizont überschattet wurde und an einem Wassergraben und einer Reihe staubiger Bäume entlanglief. Die ersten Gatter kamen in Sicht. Der Weg verengte sich. Hier fuhren früher wohl Holzkarren, dachte Fate. Tatsächlich sah man noch die Furchen von Karrenrädern, vielleicht waren es aber auch nur die Spurrillen alter Viehlastwagen.
Die Ranch, auf der Merolino Fernandez untergebracht war, bestand aus einem Komplex dreier niedriger, länglicher Gebäude, die sich um einen Innenhof gruppierten, auf dessen ausgedörrtem, zementhartem Lehmboden man einen leicht windschiefen Boxring errichtet hatte. Bei ihrer Ankunft war der Ring leer, und es befand sich nur ein Mann im Hof, der in einem Korbliegestuhl geschlafen hatte und vom Lärm der Motoren geweckt wurde. Der Typ war groß und massig, sein Gesicht von Narben bedeckt. Die Journalisten kannten ihn und begannen ein Gespräch mit ihm. Er hieß Víctor García und hatte auf der rechten Schulter eine Tätowierung, die Fates Interesse weckte. Ein nackter Mann von hinten, der im Vorraum einer Kirche kniete und um den herum mindestens zehn sehr weiblich geformte Engel der Dunkelheit entstiegen wie Schmetterlinge, die die Gebete des Büßers herbeigerufen hatten. Der Rest war dunkel und schemenhaft. Die Tätowierung war handwerklich einwandfrei, obwohl es so aussah, als wäre sie im Gefängnis angefertigt worden und als hätte es dem Tätowierer nicht an Erfahrung, aber doch an Werkzeug und Tinte gefehlt; trotzdem hatte ihr Inhalt etwas Verstörendes. Als er die Journalisten fragte, wer der Mann sei, erfuhr er, er sei einer von Merolinos Sparringspartnern. Dann, als hätte sie ihr Kommen durch ein Fenster beobachtet, brachte eine Frau ein Tablett mit kaltem Bier und kühlen Getränken in den Hof.
Nach einer Weile erschien der Trainer des mexikanischen Boxers in weißem Hemd und weißem Pullover und fragte, ob sie Merolino lieber vor oder nach dem Training Fragen stellen wollten. Wir richten uns nach Ihnen, López, sagte einer der Journalisten. Hat man Ihnen etwas zu essen gebracht?, fragte der Trainer, während er bei den kalten Getränken Platz nahm. Die Journalisten schüttelten den Kopf. Von seinem Stuhl aus wies López García an, er solle in die Küche gehen und irgendwas Kleines bringen. Bevor García wieder zurück war, tauchte Merolino auf einem der Wege auf, die in die Wüste führten, gefolgt von einem
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