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Warum das Schild mit Osama Bin Laden? sagte Fate. Weil Osama Bin Laden der Erste war, der das Wesen des gegenwärtigen Kampfes begriffen hat. Dann sprachen sie von der Unschuld Bin Ladens und von Pearl Harbor und wie gut der Anschlag auf die Zwillingstürme gewissen Leuten in den Kram gepasst habe. Leuten, die an der Börse arbeiten, sagte Khalil, Leuten, die in ihren Büros belastende Papiere aufbewahrten, Leuten, die mit Waffen handeln und genau so eine Aktion brauchten. Ihr glaubt also, sagte Fate, Mohammed Atta war ein Spitzel der CIA oder des FBI? Wo sind die Überreste von Mohammed Atta? fragte Khalil. Wer kann mit Sicherheit sagen, dass Mohammed Atta in einem der Flugzeuge saß? Ich will dir sagen, was ich glaube. Ich glaube, dass Atta tot ist. Er ist unter ihrer Folter gestorben oder sie haben ihm eine Kugel in den Kopf gejagt. Ich glaube, dass sie dann seinen Körper in kleine Stücke zerhackt und seine Knochen zerstoßen haben, bis sie von Hühnerresten nicht zu unterscheiden waren. Ich glaube, dass sie dann die Knochensplitter und Fleischstücke in eine Kiste gepackt, sie mit Beton aufgefüllt und in irgendeinem Sumpf in Florida versenkt haben. Und dasselbe haben sie mit den Freunden von Mohammed Atta gemacht.
Wer flog dann die Maschinen? fragte Fate. Spinner vom Ku-Klux-Klan, namenlose Irrenhäusler aus dem Mittleren Westen, hypnotisierte Freiwillige für Selbstmordeinsätze. Jährlich verschwinden in diesem Land Tausende von Menschen, nach denen keiner jemals sucht. Danach sprachen sie über die Römer, den Zirkus und die ersten Christen, die von den Löwen gefressen wurden. Aber an unserem schwarzen Fleisch werden sich die Löwen die Zähne ausbeißen, sagte er.
Am nächsten Tag besuchte Fate sie in einem Laden in Harlem. Dort lernte er einen gewissen Ibrahim kennen, einen mittelgroßen, narbengesichtigen Typen, der es sich nicht nehmen ließ, ihm haarklein sämtliche barmherzigen Werke der Bruderschaft im Viertel vorzubeten. Sie aßen zusammen in einer Cafeteria neben dem Laden. In der Cafeteria bediente sie eine Frau, der ein Junge zur Hand ging, und die Küche versorgte ein alter Mann, der pausenlos sang. Am Nachmittag gesellte sich Khalil zu ihnen, und Fate fragte, wo sie sich kennengelernt hätten. Im Knast, sagten sie. Die schwarzen Brüder lernen sich im Knast kennen. Sie sprachen über die anderen islamischen Gruppen in Harlem. Ibrahim und Khalil hatten keine besonders gute Meinung von ihnen, versuchten aber, gemäßigt und offen zu erscheinen. Alle guten Moslems würden früher oder später bei der Bruderschaft landen.
Bevor er sich von ihnen verabschiedete, meinte Fate noch, dass man es ihnen wahrscheinlich nie verzeihen werde, unter dem Bild Osama Bin Ladens marschiert zu sein. Ibrahim und Khalil lachten. Sie kamen ihm vor wie zwei von Lachen geschüttelte schwarze Steine.
»Sie werden es wahrscheinlich nie vergessen«, sagte Ibrahim.
»Jetzt wissen sie, mit wem sie es zu tun haben«, sagt Khalil.
Sein Ressortchef sagte ihm, er solle sich die Reportage über die Brüderschaft aus dem Kopf schlagen.
»Diese Schwarzen, wie viele sind es?« fragte er.
»Schätzungsweise zwanzig«, sagte Fate.
»Zwanzig Nigger«, sagte der Ressortchef. »Von denen mindestens fünf FBI-Spitzel sein dürften.«
»Vielleicht auch mehr«, sagte Fate.
»Was an ihnen könnte interessant für uns sein?« sagte der Ressortchef.
»Die Dummheit«, sagte Fate. »Die unendlich vielfältigen Formen, uns selbst zu zerstören.«
»Bist du seit neustem Masochist, Óscar?« fragte der Ressortchef.
»Möglich«, gab Fate zu.
»Du solltest mehr vögeln« sagte der Ressortchef. »Öfter ausgehen, Musik hören, dich mit Freunden treffen.«
»Habe ich mir auch schon gedacht«, sagte Fate.
»Was hast du dir gedacht?«
»Mehr zu vögeln«, sagte Fate.
»So was denkt man nicht, so was tut man«, sagte der Ressortchef.
»Erst muss man daran denken«, sagte Fate. Dann fügte er hinzu: »Habe ich grünes Licht für meine Reportage?« Der Ressortchef schüttelte den Kopf.
»Vergiss es«, sagte er. »Verkauf das einer Philosophenzeitung, einem Journal für Anthropologie der Großstadt, schreib meinetwegen ein gottverdammtes Drehbuch und lass es dir von dem gottverdammten Spike Lee verfilmen, aber ich werde nichts dergleichen veröffentlichen.«
»In Ordnung«, sagte Fate.
»Verdammt, wenn diese Bastarde mit einem Bild von Osama Bin Laden demonstriert haben«, sagte der Ressortchef.
»Müssen sie Eier haben«, ergänzte
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