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schlechteren Eindruck hinterlassen hätte. Anschließend kehrten wir in die Zeitung zurück, wo sie mich baten, mitzukommen, sie hätten etwas Wichtiges mit mir zu bereden. Wir zogen uns in das Büro eines der beiden zurück. Als Erstes fragten sie mich, ob ich mich mit einer Gehaltserhöhung anfreunden könnte. Das kam mir bereits merkwürdig vor und ich war versucht, nein zu sagen, sagte aber ja, woraufhin sie ein Papier herausholten und eine Zahl nannten, die exakt meinem Gehalt als Lokalredakteurin entsprach. Dann sahen sie mir in die Augen und nannten eine zweite Zahl, die bedeutete, dass sie mir eine Gehaltserhöhung von vierzig Prozent anboten. Fast wäre ich vor Freude in die Luft gesprungen. Dann schoben sie mir die gesamten Unterlagen meines Vorgängers zu und sagten, dass ich mich von nun an ausschließlich um den Fall der in Santa Teresa ermordeten Frauen zu kümmern hätte. Mir war klar, dass ich alles verlieren würde, wenn ich jetzt einen Rückzieher machte. Mit tonloser Stimme fragte ich sie, warum ich? Weil du sehr intelligent bist, Lupita, sagte der eine. Weil dich niemand kennt, sagte der andere.«
Die Frau seufzte tief. Fate lächelte verständnisvoll. Sie bestellten noch einen Whisky und noch ein Bier. Die Arbeiter von der Baustelle waren verschwunden. Ich trinke zu viel, sagte die Frau.
»Seit ich die Unterlagen meines Vorgängers gelesen habe, trinke ich zu viel Whisky, viel mehr als früher, ich trinke auch viel mehr Wodka und Tequila, und gerade habe ich das Spezialgetränk von Sonora entdeckt, Bacanora, und auch davon trinke ich zu viel«, sagte Guadalupe Roncal. »Und mit jedem Tag wird meine Angst größer, und manchmal gehen die Nerven mit mir durch. Sicher hat man ihnen gesagt, dass Mexikaner niemals Angst haben.« Sie lachte. »Alles gelogen, wir haben große Angst, wir verbergen das nur ganz gut. Als ich in Santa Teresa ankam, war ich zum Beispiel halb tot vor Angst. Auf dem Flug von Hermosillo hierher hätte die Maschine auch abstürzen können, das wäre mir egal gewesen. Ein schneller Tod, nach allem, was man hört. Immerhin hatte mir ein Bekannter aus DF die Adresse von diesem Hotel gegeben. Er sagte, er werde im Sonora Resort absteigen, um über den Boxkampf zu berichten, und dass inmitten so vieler Sportreporter niemand es wagen würde, mir etwas anzutun. Gesagt, getan. Das Problem ist nur, dass ich nach dem Kampf nicht zusammen mit den anderen Journalisten abreisen kann, sondern noch ein paar Tage in Santa Teresa bleiben muss.«
»Warum?« fragte Fate.
»Ich muss ein Interview mit dem Hauptverdächtigen für die Morde machen. Er ist ein Landsmann von Ihnen.«
»Davon wusste ich nichts«, sagte Fate.
»Wie wollten Sie über die Verbrechen schreiben, wenn Sie davon nichts wussten?«, sagte Guadalupe Roncal.
»Ich wollte mich informieren. In dem Telefongespräch, das Sie mitbekommen haben, hatte ich um mehr Zeit gebeten.«
»Mein Vorgänger war die Person, die am besten über die Sache Bescheid wusste. Er brauchte sieben Jahre, um sich ein grobes Bild von dem zu verschaffen, was hier vorgeht. Ist das Leben nicht unendlich traurig?«
Guadalupe Roncal massierte sich mit den Zeigefingern die Schläfen, als hätte sie einen plötzlichen Anfall von Migräne. Sie flüsterte etwas, das Fate nicht verstand, und wollte nach dem Kellner rufen, aber auf der Terrasse waren nur noch sie beide. Als sie das merkte, schauderte sie.
»Ich muss ihn im Gefängnis besuchen«, sagte sie. »Der Hauptverdächtige, Ihr Landsmann, sitzt seit Jahren im Gefängnis.«
»Und wie kann er dann der Hauptverdächtige sein?«, sagte Fate. »Ich habe gehört, dass die Morde andauern.«
»Geheimnisse Mexikos«, sagte Guadalupe Roncal. »Hätten Sie nicht Lust, mich zu begleiten? Hätten Sie nicht Lust, mitzukommen und ihn ebenfalls zu interviewen? Ehrlich gesagt, würde ich mich ruhiger fühlen, wenn ein Mann mich begleitete, obwohl das gegen meine Überzeugungen ist, denn ich bin Feministin. Haben Sie etwas gegen Feminismus? In Mexiko Feministin zu sein ist nicht leicht. Wenn man Geld hat, ist es weniger schwer, aber wenn man zur Mittelschicht gehört, ist es umso schwerer. Am Anfang natürlich nicht, am Anfang ist es einfach, an der Universität zum Beispiel ist es einfach, aber mit den Jahren wird es immer schwerer. Für die Mexikaner, damit Sie das wissen, ist Jugendlichkeit das einzig Reizvolle am Feminismus. Aber wir altern hier schnell. Wir werden hier schnell alt gemacht. Ein Glück, dass ich noch
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