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eine Woche blieb. Er kehrte nie mehr nach Mexiko zurück. Vielleicht hatte er sogar vergessen, dass er Mexikaner war. Auf alle Fälle hatten die Mexikaner ihn vergessen. Man sagt, er habe zu betteln begonnen und sei eines Tages unter einer Brücke gestorben. Der Stolz der mexikanischen Schwergewichtsklasse, sagte der Journalist.
Die anderen lachten, und dann machten alle sorgenvolle Mienen.
Zwanzig Schweigesekunden, um an den unglücklichen Carreño zu denken. Durch die urplötzlich ernsten Gesichter fühlte sich Fate an einen Maskenball erinnert. Für einen winzigen Moment blieb ihm die Luft weg, er sah die leere Wohnung seiner Mutter, hatte die Vision von zwei Menschen, die in einem erbärmlichen Zimmer miteinander schliefen, alles zur gleichen Zeit, einer Zeit, die durch das Wort Umbruchphase definiert war. Was bist du, Pressesprecher beim Ku-Klux-Klan?, fragte Fate. Meine Güte, wieder so ein überempfindlicher Nigger, sagte der Journalist, der die Geschichte erzählt hatte. Fate versuchte, an ihn heranzukommen, um ihm zumindest einen Stoß zu versetzen (noch lieber eine Ohrfeige), aber die Journalisten, die um ihn herumstanden, hielten ihn zurück. War nur ein Witz, hörte er einen sagen. Wir sind doch alle Amerikaner. Hier gibt es niemanden vom Ku-Klux-Klan. Glaube ich zumindest. Erneutes Gelächter. Als er sich wieder beruhigt hatte und allein in einer Ecke saß, kam einer der Journalisten, die der Geschichte von Hércules Carreño gelauscht hatten, an seinen Tisch und streckte ihm die Hand hin.
»Chuck Campbell, vom Sport Magazine aus Chicago.«
Fate reichte ihm die Hand, nannte seinen Namen und den seiner Zeitung.
»Ich habe gehört, euer Korrespondent ist ermordet worden«, sagte Campbell.
»Stimmt«, sagte Fate.
»Eine Eifersuchtsgeschichte, nehme ich an«, sagte Campbell.
»Keine Ahnung«, sagte Fate.
»Ich habe Jimmy Lowell gekannt«, sagte Campbell, »wir haben uns mindestens vierzigmal getroffen, das ist mehr, als ich von einigen Geliebten und sogar von manch einer Ehefrau behaupten könnte. Jimmy war ein guter Mensch. Er liebte Bier und gutes Essen. Wer viel arbeitet, sagte er, muss viel essen, und was er isst, muss gut sein. Einmal saßen wir zusammen im Flugzeug. Ich kann auf Flügen nie schlafen. Jimmy Lowell schlief während des gesamten Fluges und wachte nur kurz auf, um zu essen und eine Anekdote zu erzählen. Seine Leidenschaft galt eigentlich nicht dem Boxen, er stand mehr auf Baseball, aber in eurer Zeitung war er für alle Sportarten zuständig, einschließlich Tennis. Er hatte für niemanden je ein böses Wort. Er erwies und er verlangte Respekt. Meinst du nicht auch?«
»Ich bin Lowell nie begegnet«, sagte Fate.
»Nimm das von eben nicht übel, mein Junge«, sagte Campbell. »Sportreporter ist ein langweiliger Job, und da sagt man schon mal unüberlegte Sachen oder frisiert Geschichten, um sich nicht zu wiederholen. Der Typ, der die Geschichte von dem mexikanischen Boxer erzählt hat, ist kein schlechter Mensch. Er ist ein anständiger Kerl und verglichen mit anderen ziemlich offen. Bloß manchmal, wenn wir einfach nur die Zeit totschlagen wollen, spielen wir Arschloch. Aber wir meinen das nicht so«, sagte Campbell.
»Kein Problem«, sagte Fate.
»Was glaubst du, in welcher Runde wird Count Pickett gewinnen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Fate, »ich habe gestern Merolino Fernandez in seinem Quartier beim Training beobachtet, und er sah mir nicht aus wie ein Verlierer.«
»Noch vor der dritten Runde geht er zu Boden«, sagte Campbell.
Ein anderer Journalist fragte ihn, wo das Quartier von Fernandez sei.
»Nicht weit außerhalb der Stadt«, sagte Fate, »aber so genau kann ich das nicht sagen, ich bin nicht allein hingefahren, ein paar Mexikaner haben mich mitgenommen.«
Als Fate das nächste Mal am Computer saß, fand er dort die Antwort seines Chefs. Man habe weder das Interesse noch das Geld für die von ihm vorgeschlagene Reportage. Er möge sich darauf beschränken, den Auftrag des Sportchefs zu erledigen, und dann sofort die Biege machen. Fate sprach mit einem Mann am Empfang des Sonora Resort und bat um Vermittlung einer Verbindung nach New York.
Während er auf den Anruf wartete, erinnerte er sich an die Berichte von ihm, die man abgelehnt hatte. Erst kürzlich einen über eine politische Gruppierung aus Harlem, die Mohammed-Bruderschaft. Begegnet war er ihnen auf einer Demonstration zur Unterstützung Palästinas. Die Teilnehmer bildeten eine bunte Mischung:
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