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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Hotel voller Sportreporter suche, schließlich könnte ich mir irgendwo ein ruhiges Zimmer suchen, wo ich mir nicht jedes Mal, wenn ich die Bar oder den Speisesaal betrete, öde, theatralische Geschichten von großen Kämpfen im Plusquamperfekt anhören muss. Ich werde es Ihnen verraten, wenn Sie mich zu meinem Tisch begleiten und ein Glas mit mir trinken.«
    Während er ihr folgte, kam ihm der Gedanke, er könne es mit einer Verrückten oder einer Gewerbsmäßigen zu tun haben, aber Guadalupe Roncal sah weder aus wie eine Verrückte noch wie eine Prostituierte, obwohl Fate im Grunde keine Ahnung von mexikanischen Verrückten und Prostituierten hatte. Wie eine Journalistin sah sie aber auch nicht aus. Sie setzten sich auf die Hotelterrasse, von der aus man einen mehr als zehnstöckigen Rohbau im Blick hatte. Noch ein Hotel, meinte die Frau gleichgültig. Einige am Gerüst lehnende oder auf Stapeln von Ziegelsteinen sitzende Arbeiter schauten ihrerseits zu ihnen herüber, zumindest kam es Fate so vor, obwohl sich das nicht sicher sagen ließ, da die Personen, die sich durch das halbfertige Gebäude bewegten, viel zu klein waren.
    »Ich bin, wie gesagt, Journalistin«, sagte Guadalupe Roncal, »und arbeite für eine der großen Zeitungen in DF. Und ich habe mich aus Angst in diesem Hotel einquartiert.«
    »Angst wovor?«, sagte Fate.
    »Angst vor allem. Wenn man an einer Sache arbeitet, die mit den Frauenmorden von Santa Teresa in Verbindung steht, hat man bald vor allem Angst. Angst, zusammengeschlagen zu werden. Angst, entführt zu werden. Angst vor Folter. Gegen Angst hilft natürlich Erfahrung. Leider habe ich keine Erfahrung. Mir fehlt die Erfahrung. Der Mangel an Erfahrung macht mir zu schaffen. Wenn es das Wort gäbe, könnte man sogar sagen, ich sei als Geheimjournalistin hier. Ich weiß über alles Bescheid, was mit den Morden zusammenhängt. Aber im Grunde bin ich in der Angelegenheit unerfahren. Will sagen, bis vor einer Woche hatte ich mit der Sache noch nichts zu tun. Ich war nicht auf dem Laufenden, hatte nichts darüber geschrieben, und plötzlich, ohne dass ich es erwartet oder darum gebeten hätte, lud man mir die Akte mit den Frauenmorden auf den Schreibtisch und übertrug mir den Fall. Wollen Sie wissen, warum?«
    Fate nickte.
    »Weil ich eine Frau bin und wir Frauen keinen Auftrag ablehnen können. Natürlich wusste ich bereits, welches Schicksal, welches Ende meinen Vorgänger ereilt hatte. Alle in der Zeitung wussten das. Der Fall hatte Wellen geschlagen, vielleicht haben Sie davon gehört.« Fate schüttelte den Kopf. »Er wurde natürlich umgebracht. Er hat sich zu weit vorgewagt und wurde umgebracht. Nicht hier in Santa Teresa, sondern in DF. Die Polizei sagte, es handle sich um einen weiteren Raubüberfall mit tödlichem Ausgang. Wollen Sie wissen, wie es passiert ist? Er stieg in ein Taxi. Das Taxi fuhr los. An einer Ecke hielt es an und zwei Unbekannte stiegen zu. Erst klapperten sie mehrere Geldautomaten ab und plünderten die Kreditkarte meines Vorgängers, dann fuhren sie in einen Außenbezirk der Stadt und erstachen ihn. Er ist nicht der erste Journalist, der für das, was er schrieb, getötet wurde. Unter seinen Papieren fand ich Hinweise auf zwei weitere Fälle. Eine in DF entführte Rundfunkredakteurin und ein Chicano, der für die Zeitschrift La Raza in Arizona arbeitete und spurlos verschwand. Beide recherchierten zu den Frauenmorden von Santa Teresa. Die Rundfunkredakteurin habe ich auf der Journalistenschule kennengelernt. Nicht dass wir befreundet waren. Wir haben in unserem ganzen Leben kaum mehr als zwei Worte gewechselt. Aber ich glaube, ich kannte sie. Bevor man sie tötete, wurde sie vergewaltigt und gefoltert.«
    »Hier in Santa Teresa?«, sagte Fate.
    »Nein, mein Lieber, in DF. Der Arm der Mörder ist lang, sehr lang«, sagte Guadalupe Roncal mit verträumter Stimme. »Bis vor kurzem war ich in der Lokalredaktion tätig. Meine Beiträge habe ich fast nie unterschrieben. Ich war eine Unbekannte. Nach dem Tod meines Vorgängers sprachen mich zwei hohe Tiere der Zeitung an. Sie luden mich zum Essen ein. Ich dachte natürlich, ich hätte irgendetwas falsch gemacht. Oder dass einer der beiden darauf aus war, mit mir ins Bett zu gehen. Ich kannte keinen der beiden. Ich wusste, wer sie waren, hatte aber nie ein Wort mit ihnen gesprochen. Das Treffen war sehr nett; sie zuvorkommend und höflich, ich intelligent und aufmerksam. Es wäre besser für mich gewesen, wenn ich einen

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