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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Gruppen von Arabern, New Yorker Altlinke und junglinke Globalisierungsgegner. Die Mohammed-Bruderschaft sprang ihm jedoch sofort ins Auge, weil sie unter einem überlebensgroßen Bild von Osama Bin Laden marschierten. Alle waren Schwarze, und alle trugen schwarze Lederjacken, schwarze Baskenmützen und schwarze Sonnenbrillen, womit sie vage an die Black Panther erinnerten, nur dass die Panther Jugendliche gewesen waren oder wenn nicht, dann zumindest jugendliche Gesichter besaßen, eine Aura von Jugendlichkeit und Tragik, wogegen die Anhänger der Mohammed-Bruderschaft gestandene Männer waren, breitschultrige und muskelbepackte Kerle, die Tage und Stunden in Fitnessstudios zugebracht und Gewichte gestemmt hatten, Typen wie geschaffen für einen Job als Leibwächter (aber Leibwächter für wen?), menschliche Kleiderschränke, deren Anwesenheit einschüchternd wirkte, obwohl an der Demonstration höchstens zwanzig oder noch weniger von ihnen teilnahmen, aber das Plakat mit Osama Bin Ladens Konterfei hatte einen irgendwie multiplikatorischen Effekt, schon weil das Attentat auf das World Trade Center keine sechs Monate zurücklag, und mit Osama Bin Laden zu demonstrieren, und sei es auch nur mit seinem Bild, stellte eine unerhörte Provokation dar. Natürlich war Fate nicht der Einzige, dem das unbotmäßige Häuflein der Bruderschaft auffiel: Die Fernsehkameras folgten ihnen, man interviewte ihren Wortführer, die Fotografen mehrerer Zeitungen hielten das Auftreten einer Gruppe fest, die um Repressalien förmlich zu betteln schien.
    Fate beobachtete sie von weitem. Er sah sie mit den Fernsehsendern und einigen lokalen Radiostationen sprechen, sah sie brüllen, sah sie in der Menschenmenge mitmarschieren und folgte ihnen. Bevor die Demonstration sich aufzulösen begann, verschwanden die Mitglieder der Bruderschaft aus ihr mittels eines vorab geplanten Schachzugs. An einer Ecke warteten zwei Lieferwagen auf sie. Erst da stellte Fate fest, dass es nicht mehr als fünfzehn waren. Sie rannten. Er rannte ihnen entgegen. Er sagte, er wolle sie für seine Zeitung interviewen. Sie sprachen miteinander in einer Seitenstraße, neben den Lieferwagen. Ein großer Dicker mit rasiertem Schädel, der ihr Anführer zu sein schien, fragte, für welche Zeitung er arbeite. Fate nannte den Namen, und der Dicke sah ihn spöttisch grinsend an.
    »Diese Scheißzeitung liest kein Mensch mehr«, sagte er.
    »Es ist eine Zeitung für unsere Brüder«, sagte Fate.
    »Diese Scheißbrüderzeitung prostituiert unsere Brüder, sonst nichts«, sagte der Typ, unverändert grinsend. »Sie ist antiquiert .«
    »Finde ich nicht«, sagte Fate.
    Eine chinesische Küchenhilfe trug mehrere Mülltüten auf die Straße. Ein Araber stand an der Ecke und beobachtete sie. Unbekannte, ferne Gesichter, dachte Fate, während der Typ, der der Anführer zu sein schien, ihm eine Uhrzeit, ein Datum, einen Ort in der Bronx nannte, wo sie sich in ein paar Tagen treffen sollten.
    Fate war pünktlich zur Stelle. Drei Mitglieder der Bruderschaft und ein schwarzer Lieferwagen nahmen ihn in Empfang. Sie fuhren ihn zu einer Kellerwohnung nahe Baychester. Dort erwartete ihn der Dicke mit dem rasierten Schädel. Er sagte, Fate solle ihn Khalil nennen. Die anderen nannten ihre Namen nicht. Khalil sprach vom Heiligen Krieg. Was zum Teufel meinst du mit Heiliger Krieg, erklär's mir, sagte Fate. Der Heilige Krieg spricht für uns, wenn unsere Münder verdorrt sind, sagte Khalil. Der Heilige Krieg ist das Wort der Stummen, das Wort derer, die ihre Sprache verloren haben, derer, die nie gelernt haben zu sprechen. Warum demonstriert ihr gegen Israel? sagte Fate. Die Juden unterdrücken uns, sagte Khalil. Kein einziger Jude hat jemals im Ku-Klux-Klan mitgemischt, sagte Fate. Das war es, was die Juden uns immer glauben machen wollten. In Wirklichkeit ist der Klan überall. In Tel Aviv, in London, in Washington. Viele Führer des Klans sind Juden, sagte Khalil. Das war schon immer so. In Hollywood gibt es jede Menge Klan-Führer. Welche denn? sagte Fate. Khalil gab ihm zu verstehen, dass alles, was er jetzt sage, vertraulich sei.
    »Die jüdischen Magnaten haben gute jüdische Anwälte«, sagte er.
    Also welche? sagte Fate. Khalil nannte drei Regisseure und zwei Schauspieler. Fate hatte eine Eingebung. Ist Woody Allen beim Klan? Ist er, sagte Khalil, denk an seine Filme, hast du da irgendeinen Bruder gesehen? Nein, viele habe ich nicht gesehen, sagte Fate. Keinen einzigen, sagte Khalil.

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