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trank eine Tasse Tee mit Milch, föhnte ihre Haare und begann sich dann widerstrebend in ihrer Wohnung umzuschauen, als fürchtete sie, der nächtliche Besuch habe irgendwelche Wertgegenstände mitgehen lassen. Wohn- und Schlafzimmer waren fast immer in einem grauenvollen Zustand, und das ärgerte sie. Ungeduldig sammelte sie die schmutzigen Gläser ein, leerte die Aschenbecher, bezog das ganze Bett neu, schob die Bücher, die Pelletier herausgezogen und auf dem Boden liegengelassen hatte, zurück ins Regal, stellte die leeren Flaschen in den Flaschenständer in der Küche und zog sich dann an und ging in die Universität. Wenn eine Sitzung mit den Kollegen vom Institut auf dem Programm stand, ging sie zu der Sitzung, wenn nicht, verkroch sie sich in der Bibliothek, um bis zum Beginn ihrer nächsten Lehrveranstaltung zu arbeiten oder zu lesen.
Eines Samstags sagte Espinoza zu ihr, sie müsse nach Madrid kommen, er lade sie ein, Madrid sei zu dieser Jahreszeit die herrlichste Stadt der Welt, außerdem gebe es eine Bacon-Retrospektive, die man sich nicht entgehen lassen dürfe.
»Ich komme morgen«, sagte Norton, womit Espinoza sicher nicht gerechnet hatte, da seiner Einladung mehr der Wunsch als die reale Möglichkeit vorschwebte, sie könnte sie annehmen.
Überflüssig zu sagen, dass die Gewissheit, sie am nächsten Tag bei sich auftauchen zu sehen, Espinoza in einen Zustand wachsender Aufregung und zappeliger Unsicherheit versetzte. Dennoch verlebten sie einen herrlichen Sonntag (Espinoza tat sein Bestes, damit es so kam), und am Abend gingen sie miteinander ins Bett, während sie die Ohren nach den Trommeln in der Nachbarschaft spitzten, ohne Erfolg, als wäre die afrikanische Band just an dem Tag zu einer Tournee durch andere spanische Städte aufgebrochen. Es gab so viel, was Espinoza sie gern gefragt hätte, dass er im entscheidenden Moment gar nichts fragte. Er musste es auch nicht tun. Norton erzählte ihm von sich aus, dass sie Pelletiers Geliebte sei, obwohl sie nicht dieses Wort benutzte, sondern eine zweideutigere Formulierung, etwas wie Freundschaft, vielleicht sagte sie auch, sie hätten ein Verhältnis oder so ähnlich.
Espinoza hätte gern gefragt, seit wann sie zusammen waren, brachte aber nur ein Seufzen zustande. Norton sagte, sie habe viele Freunde, ließ aber offen, ob sie damit solche Freunde oder solche Freunde meinte, das sei schon seit ihrem sechzehnten Lebensjahr so, als sie zum ersten Mal mit einem Typen schlief, einem vierunddreißigjährigen gescheiterten Musiker aus Pottery Lane, und so sehe sie das. Espinoza, der noch nie auf Deutsch mit einer Frau, mit der er nackt im Bett lag, über Liebe (oder Sex) geredet hatte, hätte gern gewusst, wie sie das sah, weil er diesen Teil nicht verstanden hatte, begnügte sich aber damit, zustimmend zu nicken.
Dann kam die große Überraschung. Norton sah ihm in die Augen und fragte ihn, ob er glaube, sie zu kennen. Schwer zu sagen, erwiderte Espinoza, in mancher Hinsicht vielleicht schon, in anderer nein, aber er hege großen Respekt für sie, außerdem bewundere er ihre Leistungen auf dem Gebiet der Archimboldi-Forschung. Daraufhin sagte Norton, sie sei verheiratet gewesen und mittlerweile geschieden.
»Das hätte ich nie gedacht«, sagte Espinoza.
»Aber es stimmt«, sagte Norton, »ich bin eine geschiedene Frau.«
Als Liz nach London zurückkehrte, blieb Espinoza noch nervöser zurück, als er es während ihres zweitägigen Besuchs in Madrid gewesen war. Einerseits hätte die Begegnung nicht besser verlaufen können, daran bestand kein Zweifel, vor allem im Bett schienen sie wunderbar zu harmonieren und ein gutes Paar abzugeben, so als würden sie sich schon lange kennen, aber nach dem Sex, als Norton auf einmal Lust bekam, zu reden, änderte sich das, die Engländerin geriet in einen hypnotischen Mitteilungsdrang, als hätte sie für derartige Dinge keine Freundin, dachte Espinoza, der im Stillen davon überzeugt war, dass solche Beichten nicht für Männerohren bestimmt waren, sondern Frauen vorbehalten sein sollten: Norton sprach zum Beispiel von Regelblutungen, vom Mond und von Schwarzweißfilmen, die sich urplötzlich in Horrorfilme verwandeln konnten, und Espinoza fürchterlich auf die Laune schlugen, so sehr, dass es ihn nach solchen Geständnissen übermenschliche Anstrengung kostete, sich anzuziehen und essen oder Arm in Arm mit ihr zu einem Treffen mit Freunden zu gehen, ganz zu schweigen von der Sache mit Pelletier, bei der sich
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