2666
ihm im Grunde die Haar sträubten - von wem wird Pelletier jetzt wohl erfahren, dass ich mit Liz ins Bett gehe? -, alles Dinge, die Espinoza zum Wahnsinn trieben und ihm, als er allein war, Magenkrämpfe verursachten und den Drang verspüren ließen, aufs Klo zu rennen, wie es Norton nach eigener Aussage immer dann passierte (warum habe ich nur zugelassen, dass sie mir davon erzählt?), wenn sie ihren Exmann traf, einen Typ von ein Meter neunzig und ungewisser Zukunft, ein potentieller Selbstmörder oder potentieller Totschläger, vermutlich ein Kleinkrimineller oder Hooligan, dessen kultureller Horizont sich auf die Popsongs beschränkte, die er in irgendeinem Pub zusammen mit Kumpels aus Kindertagen grölte, ein Holzkopf, der ans Fernsehen glaubte, dessen atrophischer Zwergenverstand dem eines hergelaufenen religiösen Fundamentalisten glich, jedenfalls und ohne Umschweife gesagt: Der schlimmste Ehemann, den eine Frau sich einbrocken konnte.
Und obwohl Espinoza, um sich zu beruhigen, beschlossen hatte, die Beziehung nicht zu vertiefen, rief er nach vier Tagen, als er sich beruhigt hatte, Norton an, um ihr zu sagen, dass er sie wiedersehen wolle. In London oder in Madrid, fragte Norton. Wo immer sie möge, erwiderte Espinoza. Norton entschied sich für Madrid. Espinoza hielt sich für den glücklichsten Menschen auf Erden.
Die Engländerin traf an einem Samstagabend ein und reiste am Sonntagabend wieder ab. Espinoza brachte sie im Wagen zum Escorial, und anschließend fuhren sie zu einer Flamencobühne. Er hatte den Eindruck, Norton sei glücklich und amüsiere sich. In der Nacht von Samstag auf Sonntag schliefen sie miteinander, drei Stunden lang, und hinterher begann Norton nicht wie beim vorigen Mal zu reden, sondern sagte, sie sei fix und fertig, und schlief ein. Tags darauf schliefen sie wieder miteinander, nachdem sie zuvor geduscht hatten, und fuhren dann zum Escorial. Auf der Rückfahrt fragte Espinoza, ob sie Pelletier getroffen habe. Norton bejahte, Jean-Claude sei in London gewesen.
»Wie geht es ihm?«, fragte Espinoza.
»Gut«, sagte Norton. »Ich habe ihm von uns erzählt.«
Espinoza wurde nervös und konzentrierte sich auf die Straße. »Und was hat er gemeint?«
»Das sei meine Angelegenheit. Aber irgendwann müsse ich mich entscheiden.«
Ohne es laut zu sagen, bewunderte Espinoza die Haltung des Franzosen. Dieser Pelletier ist ein feiner Kerl, dachte er. Daraufhin fragte ihn Norton, wie er das sehe.
»Mehr oder weniger genauso«, log Espinoza, ohne sie anzusehen.
Eine Weile lang schwiegen beide, dann sprach Norton wieder von ihrem Ehemann. Diesmal ließen ihn die Ungeheuerlichkeiten, die sie erzählte, völlig kalt.
Am Sonntagabend, Espinoza hatte gerade Norton zum Flughafen gebracht, rief Pelletier an. Er kam gleich zur Sache. Er wisse, sagte er, was Espinoza bereits wisse. Espinoza sagte, er sei ihm für den Anruf dankbar und habe, ob er es glaube oder nicht, selbst vorgehabt, ihn anzurufen, und es nur deshalb nicht getan, weil er, Pelletier, ihm zuvorgekommen sei. Pelletier sagte, er glaube ihm.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Espinoza.
»Alles Weitere der Zeit überlassen«, antwortete Pelletier.
Und dann unterhielten sie sich - und lachten herzlich - über einen sehr kuriosen Kongress, der gerade in Thessaloniki stattgefunden hatte und zu dem nur Morini eingeladen worden war.
In Thessaloniki ereignete sich ein bedrohlicher Zwischenfall. Morini erwachte eines Morgens in seinem Hotelzimmer und sah nichts mehr, war blind. Für Sekunden lähmte ihn panische Angst, aber schnell hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er zwang sich, still liegen zu bleiben, darum bemüht, erneut einzuschlafen. Er dachte an angenehme Dinge, versuchte es mit Szenen aus der Kindheit, mit bestimmten Filmen, mit unbeweglichen Gesichtern, ohne Erfolg. Er richtete sich im Bett auf und tastete nach seinem Rollstuhl. Er faltete ihn auseinander, und leichter als erwartet gelang es ihm, sich hineinzuschwingen. Dann arbeitete er sich ganz behutsam zum einzigen Fenster des Zimmers vor, einer Glastür, die auf einen Balkon hinausging, von dem aus man auf einen kahlen, gelblich braunen Hügel und ein Bürogebäude sah, über dem die Leuchtreklame einer Wohnungsbaugesellschaft prangte und Chalets in vermutlich stadtnaher Umgebung anpries.
Die Siedlung, die erst noch gebaut werden sollte, trug den Namen Residenz Apoll, und noch am Abend zuvor hatte Morini vom Balkon aus mit einem Glas Whisky in der Hand das
Weitere Kostenlose Bücher