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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Aufmerksamkeit eines Mannes in Farmerkleidung. Ein Drogenhändler, dachte Juan de Dios Martínez, obwohl er den Mann nicht erkennen konnte, da er ihm den Rücken zukehrte. Sakrophobie bezeichnet Ängste oder Aversionen in Bezug auf sakrale Dinge, insbesondere die der eigenen Religion, sagte Elvira Campos. Er wollte schon das Beispiel von Dracula und seiner Furcht vor Kreuzen erwähnen, vermutete aber, die Leiterin würde ihn auslachen. Sie glauben also, der Büßer leidet an Sakrophobie? Ich habe lange darüber nachgedacht und glaube ja. Vor einigen Tagen hat er einen Pfarrer und noch eine Person abgestochen, sagte Juan de Dios Martínez. Der Mann mit dem Akkordeon war sehr jung, nicht älter als zwanzig, und kugelrund. Durch seinen Gesichtsausdruck wirkte er älter als fünfundzwanzig, außer wenn er lachte, was er häufig tat, und dann sah man plötzlich seine ganze Jugend und Unerfahrenheit. Das Messer hat er nicht bei sich, um anderen, ich meine, lebendigen Menschen, weh zu tun, sondern um die Heiligenfiguren zu zerstören, die er in den Kirchen findet, sagte die Leiterin. Duzen wir uns? fragte Juan de Dios Martínez. Elvira Campos lächelte und nickte mit dem Kopf. Sie sind eine sehr attraktive Frau, sagte Juan de Dios Martínez. Schlank und attraktiv. Mögen Sie keine schlanken Frauen? fragte die Leiterin. Die Geigerin war größer als der Akkordeonspieler, sie trug eine schwarze Bluse und schwarze Leggins. Sie hatte glattes, bis zur Hüfte reichendes Haar, und manchmal schloss sie die Augen, vor allem bei Stellen, wo der Akkordeonist nicht nur spielte, sondern sang. Das Traurigste von allem aber war, dass der Drogenhändler oder der bekleidete Rücken des mutmaßlichen Drogenhändlers sie kaum beachtete, sondern sich auf das Gespräch mit einem mangustengesichtigen Typen und einer katzengesichtigen Trulla konzentrierte. Wollten wir uns nicht duzen? fragte Juan de Dios Martínez. Stimmt, sagte die Leiterin. Und Sie sind sicher, dass der Büßer an Sakrophobie leidet? Sie habe, sagte die Leiterin, auf der Suche nach einem ehemaligen Patienten mit einem ähnlichen Krankheitsbild die Archive der Heilanstalt durchforstet. Ohne Erfolg. Dem von Ihnen genannten Alter des Büßers nach zu urteilen, würde ich schwören, dass er schon früher einmal in psychiatrischer Behandlung war. Plötzlich begann der Junge mit dem Akkordeon einen Veitstanz aufzuführen. Von ihrem Platz aus konnte man ihn nicht hören, aber er verzog Mund und Augenbrauen zu Grimassen, zerzauste sich mit einer Hand das Haar und schien sich totzulachen. Die Geigerin hatte die Augen geschlossen. Der Nacken des Drogenhändlers bewegte sich. Juan de Dios Martínez dachte, dass der Junge endlich erreicht hatte, was er wollte. Wahrscheinlich gibt es in irgendeiner Nervenheilanstalt in Hermosillo oder Tijuana von ihm eine Krankenakte. Ich glaube nicht, dass sein Krankheitsbild sehr selten ist. Vielleicht hat er bis vor kurzem Beruhigungsmittel genommen. Vielleicht hat er sich abgesetzt, sagte die Leiterin. Sind Sie verheiratet, leben Sie mit jemandem zusammen? fragte Juan de Dios Martínez leise. Ich lebe allein, sagte die Leiterin. Aber Sie haben Kinder, ich habe das Foto in Ihrem Büro gesehen. Ich habe eine Tochter, sie ist verheiratet. Juan de Dios Martínez spürte, wie er innerlich aufatmete, und lachte. Sagen Sie mir nicht, dass man Sie schon zur Großmutter gemacht hat. So etwas sagt man nicht zu einer Frau, Kommissar, sagte die Leiterin. Wie alt sind Sie? Vierunddreißig, sagte Juan de Dios Martínez. Sechzehn Jahre jünger als ich. Sie sehen höchstens aus wie vierzig, sagte der Beamte. Die Leiterin lachte: Ich mache jeden Tag Gymnastik, rauche nicht, trinke wenig, esse nur gesunde Sachen, war früher immer morgens laufen. Jetzt nicht mehr? Nein, jetzt habe ich mir ein Laufband gekauft. Sie lachten beide. Ich höre Bach über Kopfhörer und laufe so zwischen fünf und zehn Kilometern am Tag. Sakrophobie. Wenn ich meinen Kollegen sage, dass der Büßer an Sakrophobie leidet, krieg ich was zu hören. Das Mangustengesicht stand auf und sagte dem Akkordeonisten etwas ins Ohr. Dann kehrte er zu seinem Platz zurück, und der Akkordeonist saß da mit einem verbitterten Ausdruck um die Lippen. Wie ein Kind, das gleich anfängt zu weinen. Die Geigerin hatte die Augen aufgeschlagen und lächelte. Der Drogenhändler und die Katzengesichtige steckten die Köpfe zusammen. Die Nase des Dealers war groß und knochig und wirkte aristokratisch. Aber inwiefern

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