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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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spielten die beiden weiter. Juan de Dios Martínez trug einen grauen, leicht verknitterten Anzug und einen dunkelgrünen Schlips. Sie setzten sich an seinen Tisch, den aufgeräumtesten im ganzen Büro, soweit González erkennen konnte, und sprachen über den Büßer. Der Kommissar sagte, seiner Meinung nach sei der Mann krank, bat ihn allerdings, das nicht zu veröffentlichen. Welche Krankheit denn?, flüsterte González, als er merkte, dass es Juan de Dios Martínez unangenehm war, wenn seine Kollegen ihn hörten. Sakrophobie, sagte Juan de Dios Martínez. Und was ist das?, fragte González. Angst und Aversionen gegenüber sakralen Dingen, sagte der Kommissar. Seiner Ansicht nach schändete der Büßer Kirchen nicht in der vorgefassten Absicht, jemanden zu töten. Das geschehe nur zufällig, der Büßer wolle einzig und allein seine Wut an den Heiligenfiguren auslassen.
    Schon bald wurden in den Kirchen, die der Büßer geschändet hatte, die Zerstörungen erst provisorisch und dann gründlich restauriert, nur nicht in Santa Catalina, wo für einige Zeit alles so blieb, wie der Büßer es hinterlassen hatte. Uns fehlt das Geld für viele Dinge, sagte der Pfarrer von Ciudad Nueva, der einmal am Tag nach Lomas del Toro kam, um Gottesdienst zu halten und sauberzumachen, womit er zu verstehen geben wollte, dass es Wichtigeres oder Dringlicheres gab als die Restaurierung zerschlagener Heiligenfiguren. Dank ihm erfuhr Sergio González bei seinem zweiten und letzten Besuch in der Kirche, dass neben Kirchenschändungen in Santa Teresa auch Morde an Frauen begangen wurden, von denen die meisten unaufgeklärt blieben. Eine Zeitlang, während er fegte, hörte der Pfarrer nicht auf zu erzählen: Von der Stadt, dem Zustrom von Migranten aus Mittelamerika, den Hunderten von Mexikanern, die täglich auf der Suche nach Arbeit in den Maquiladoras hier eintrafen oder über die Grenze in die USA zu gelangen versuchten, vom Menschenhandel und den Schlepperbanden, den Polleros, von den Hungerlöhnen, die in den Fabriken gezahlt wurden, und davon, wie begehrt diese Löhne trotzdem bei den verzweifelten Ankömmlingen aus Querétaro oder Zacatecas oder Oaxaca waren, verzweifelten Christenmenschen, sagte der Pfarrer, eine eigenartige Formulierung aus dem Mund eines Priesters, die unter unglaublichen Bedingungen teils allein, teils mit der Familie im Schlepptau unterwegs waren, bis sie die Grenze erreichten und da erst Rast machten oder in Tränen ausbrachen oder beteten oder sich mit Alkohol und Drogen betäubten oder tanzten bis zum Umfallen. Der Pfarrer hatte etwas Leierndes in der Stimme, und während Sergio González ihm zuhörte, schloss er für einen Moment die Augen und wäre fast eingeschlafen. Später gingen sie hinaus und setzten sich auf die Lehmziegelstufen vor der Kirche. Der Pfarrer bot ihm eine Camel an, und sie rauchten und schauten zum Horizont. Und was machst du sonst so in DF, wenn du nicht für die Zeitung schreibst, fragte der Pfarrer. Eine Weile, während er den Rauch der Zigarette inhalierte, dachte Sergio González über eine Antwort nach. Ihm fiel nichts ein. Ich bin frisch geschieden, sagte er, außerdem lese ich viel. Und was liest du? erkundigte sich der Pfarrer. Philosophische Bücher, vor allem philosophische Bücher, sagte González. Liest du auch gern? Zwei Mädchen rannten vorbei und grüßten den Pfarrer mit Namen, ohne stehenzubleiben. González sah ihnen nach, wie sie über eine Brachfläche mit großen roten Blumen liefen und dann eine breite Straße überquerten. Natürlich, sagte der Pfarrer. Und was für Bücher? fragte er. Zur Befreiungstheologie vor allem, sagte der Pfarrer. Ich mag Boff und die Brasilianer. Aber ich lese auch Krimis. González stand auf und trat seine Zigarette aus. Es war mir ein Vergnügen, sagte er. Der Pfarrer drückte ihm die Hand und nickte.
    Früh am nächsten Morgen nahm Sergio González den Bus nach Hermosillo und von dort, nach vier Stunden Warten, eine Maschine nach DF. Zwei Tage später übergab er dem Chef der Sonntagsausgabe die Reportage über den Büßer und hatte kurz darauf die ganze Angelegenheit vergessen.
    Was hat es mit dieser Sakrophobie auf sich? fragte Juan de Dios Martínez die Leiterin. Klären Sie mich ein bisschen auf. Die Leiterin sagte, sie heiße Elvira Campos, und bestellte einen Whisky. Juan de Dios Martínez bestellte ein Bier und sah sich im Lokal um. Auf der Terrasse buhlte ein Akkordeonspieler gefolgt von einer Geigerin vergeblich um die

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