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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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nach Nogales weder beleuchtet noch asphaltiert, außerdem hat das Gelände keine richtige Kanalisation: Fast alle Abwässer des Industrieparks landen in der Siedlung Las Rositas, wo sich ein von der Sonne gebleichter Sumpf gebildet hat. Margarita López kam also um halb sechs aus der Fabrik. Das steht fest. Dann verließ sie auf unbeleuchteten Straßen das Industriegelände. Vielleicht sah sie den Lieferwagen, der jede Nacht an einem verlassenen Rondell neben dem Parkplatz der Maquiladora WS-Inc. stand und Milchkaffee, kalte Getränke und Backwaren aller Art an die kommenden und gehenden, meist weiblichen Arbeiter verkaufte. Sie hatte jedoch keinen Hunger oder wusste, dass zu Hause ein Essen auf sie wartete, und ging weiter. Sie ließ den Industriepark und den immer ferneren Lichtschein der Maquiladoras hinter sich. Sie überquerte die Hauptstraße nach Nogales und nahm den Weg durch die Siedlung Guadalupe Victoria, für den sie nicht mehr als eine halbe Stunde brauchte. Dahinter würde die Siedlung San Bartolomé auftauchen, wo sie wohnte. Alles in allem ein Fußmarsch von rund fünfzig Minuten. Aber irgendwo auf dem Weg kam es zu einem Zwischenfall oder zum Äußersten, und ihrer Mutter sagte man später, es könne doch sein, dass sie mit einem Mann durchgebrannt sei. Sie ist erst sechzehn, sagte die Mutter, und ein anständiges Mädchen. Vierzig Tage später fanden Kinder ihre Leiche unweit einer alten Baracke in der Siedlung Maytorena. Ihre linke Hand ruhte auf einem Büschel Guaco-Blätter. Wegen des Zustands der Toten war der Gerichtsmediziner nicht in der Lage, die genaue Todesursache festzustellen. Dafür war einer der an der Bergung der Leiche beteiligten Polizisten in der Lage, das Guaco zu erkennen. Gut gegen Mückenstiche, sagte er, beugte sich und pflückte einige der lanzettförmigen, harten grünen Blätter.
    Der Juli blieb ohne ermordete Frauen. So auch der August.
    In jenen Tagen schickte die Tageszeitung La Razón aus DF Sergio González für eine Reportage über den Büßer nach Santa Teresa. Sergio González war fünfunddreißig, frisch geschieden und brauchte dringend Geld. Normalerweise hätte er den Auftrag nicht angenommen, denn Berichte über Kriminalfälle fielen nicht in sein Ressort, er war für Kultur zuständig. Er verfasste Rezensionen über Bücher, die im Übrigen niemand las, weder die Bücher, noch seine Rezensionen, und hin und wieder schrieb er über Musik und Ausstellungen. Seit vier Jahren gehörte er zur Redaktion von La Razón, und seine finanzielle Situation war nicht berauschend, aber ganz annehmbar, bis zu seiner Scheidung, seit der es hinten und vorne nicht reichte. Da er in seinem Ressort (wo er zuweilen unter Pseudonym schrieb, damit die Leser nicht merkten, dass alle Beiträge von ihm stammten) nicht noch mehr tun konnte, versuchte er, die anderen Ressortleiter zu bewegen, ihm Sonderaufträge zuzuschanzen, damit er sein zur Verfügung stehendes Einkommen aufbessern konnte. Ein Ergebnis davon war der Vorschlag, nach Santa Teresa zu fahren und mit einer Reportage über den Büßer im Gepäck zurückzukommen. Das Angebot kam vom Chefredakteur der hauseigenen Sonntagsausgabe, der González schätzte und mit dem Auftrag zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollte: Zum einen sollte er sich etwas dazu verdienen, zum anderen drei oder vier Tage Urlaub im Norden nehmen, einer Gegend mit gutem Essen und gesunder Luft, um die Sache mit seiner Frau zu vergessen. Also flog Sergio González im Juli 1993 nach Hermosillo und fuhr von dort im Bus nach Santa Teresa. Tatsächlich wirkte die Luftveränderung Wunder. Der tiefblaue, fast metallische und von unten beleuchtete Himmel über Hermosillo trug dazu bei, dass sich seine Laune augenblicklich hob. Die Leute am Flughafen und dann auf den Straßen wirkten in seinen Augen sympathisch und unbekümmert, als wäre er in einem fremden Land und sähe nur die positiven Seiten seiner Bewohner. In Santa Teresa, das auf ihn den Eindruck einer geschäftigen Stadt mit verschwindend geringer Arbeitslosigkeit machte, nahm er sich ein Zimmer in einem billigen Hotel in der Innenstadt, El Oasis, in einer Straße, deren Pflaster noch aus der Zeit der Reformgesetze stammte, und machte sich dann auf den Weg in die Redaktionen von El Heraldo del Norte und La Voz de Sonora, wo er sich lange mit den Kollegen unterhielt, die mit dem Fall des Büßers befasst waren und ihm erklärten, wie man zu den vier geschändeten Kirchen fand, die er an einem einzigen

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