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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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ab zwanzig Uhr war kein Mensch mehr vor Ort, abgesehen von einer Meute Kinder oder Hunde, die aus der Siedlung Maytorena heruntergekommen waren und nicht wussten, wie sie wieder hinaufkommen sollten. Gefunden wurde sie von einem der Grundstücksmakler. Er traf um neun Uhr morgens im Neubaugebiet ein und parkte wie gewöhnlich vor dem Fertigbau. Er wollte gerade ins Haus gehen, als ihm ein Auto auffiel, das auf einer noch unverkauften Parzelle parkte, genau unterhalb einer Anhöhe, die es bis zu diesem Moment verdeckt hatte. Er nahm an, dass es sich um den Wagen seines Kollegen handelte, verwarf den Gedanken aber als absurd, wer würde schon, wenn er sein Auto neben dem Gebäude abstellen konnte, so weit entfernt parken? Vielleicht ein Betrunkener, dachte er, der hier seinen Rausch ausschlafen wollte, oder ein verirrter Reisender, denn der Abzweig zur Autobahn nach Süden war nicht weit. Er dachte sogar an einen ungeduldigen Käufer. Das Auto, fand er, als er dann auf der Anhöhe stand (eine ausgezeichnete Parzelle, guter Blick, ausreichend Baugrund, um später ein Schwimmbad anzulegen), war zu alt, um einem Käufer zu gehören. In diesem Moment neigte er mehr zu der These mit dem Betrunkenen und war versucht, umzukehren, aber dann sah er das Haar der Frau, die an einem der hinteren Fenster lehnte, und beschloss, weiterzugehen. Die Frau trug ein weißes Kleid und war barfuß. Sie war ungefähr ein Meter siebzig groß. An der linken Hand trug sie drei Ringe, und zwar am Zeige-, Mittel- und Ringfinger, Modeschmuck, am rechten Handgelenk zwei billige Armreifen und an den Fingern der rechten Hand zwei große Ringe mit falschen Steinen. Das gerichtsmedizinische Gutachten ergab, dass sie vaginal und anal vergewaltigt und anschließend erwürgt worden war. Sie trug nichts bei sich, woran sich ihre Identität feststellen ließ. Der Fall wurde Kommissar Ernesto Ortiz Rebolledo übertragen, der zunächst unter Santa Teresas teuren Prostituierten ermittelte, ob eine von ihnen die Tote kannte, dann, als seine Bemühungen fruchtlos blieben, unter den billigen Prostituierten, doch die einen wie die anderen behaupteten, sie nie gesehen zu haben. Ortiz Rebolledo klapperte Hotels, Pensionen und umliegende Motels ab, brachte vergeblich seine Spitzel auf Trab, und nach kurzer Zeit wurde die Akte geschlossen.
    Ebenfalls im September, zwei Wochen nach dem Fund der Toten auf dem Neubaugelände Buenavista, wurde eine weitere Leiche entdeckt. In diesem Fall handelte es sich um Gabriela Morón, achtzehn Jahre, erschossen von ihrem Freund Feliciano José Sandoval, siebenundzwanzig Jahre, beide Arbeiter in der Maquiladora Nip-Mex. Laut polizeilichen Ermittlungen war dem Vorfall ein Streit zwischen beiden vorausgegangen, ausgelöst durch die Weigerung von Gabriela Morón, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Der mutmaßliche Täter, Feliciano José Sandoval, hatte bereits zweimal den Versuch dazu unternommen und war beide Male von der US-amerikanischen Polizei zurückgeschickt worden, was ihn nicht davon abhielt, sein Glück noch ein drittes Mal versuchen zu wollen. Freunden zufolge hatte Sandoval in Chicago Verwandte. Gabriela Morón dagegen hatte noch nie die Grenze überquert, und nachdem sie Arbeit bei Nip-Mex gefunden hatte, wo ihre Vorgesetzten sie sehr schätzten, weshalb sie auf eine baldige Beförderung und besseren Lohn hoffte, war ihr Interesse, das Risiko der Emigration einzugehen, gleich null. Einige Tage lang suchte die Polizei nach Feliciano José Sandoval in Santa Teresa und Lomas de Poniente, seinem tamaulipekischen Heimatdorf, auch wurde den entsprechenden US-Behörden ein auf ihn ausgestellter Haftbefehl übermittelt, für den Fall, dass der mutmaßliche Täter sich seinen Traum erfüllt hatte und dort war, obwohl man paradoxerweise keinen Schlepper oder Menschenhändler verhörte, der ihm dazu verholfen haben könnte. Kurz und gut, der Fall wanderte zu den Akten.
    Im Oktober wurde auf der Müllkippe des Industrieparks Arsenio Farrell die nächste Tote entdeckt. Sie hieß Marta Navales Gómez, war zwanzig Jahre alt, eins siebzig groß und hatte langes, kastanienbraunes Haar. Sie war seit zwei Tagen nicht nach Hause gekommen. Sie trug einen Bademantel und Strumpfhosen, die ihre Eltern nicht als ihre Kleidungsstücke wiedererkannten. Sie war mehrfach anal und vaginal vergewaltigt worden. Zuletzt hatte man sie erwürgt. Merkwürdig an dem Fall war, dass Marta Navales Gómez zwar bei Aiwo, einer japanischen Maquiladora im

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