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ein Yaqui-Indianer, der fast nie den Mund aufmachte. Seinen beiden Kameraden dagegen traute er nicht über den Weg. Von ihnen konnte man nichts lernen. Der Lange aus Tijuana redete gern von Kalifornien und den Frauen, die er dort gekannt hatte. Er mischte spanische und englische Ausdrücke. Er erzählte Geschichten, Lügen, die nur sein Kumpel aus Juárez positiv aufnahm, der schweigsamer, aber in Lalo Curas Augen noch weniger vertrauenerweckend war. An einem ganz gewöhnlichen Morgen fuhr Rengifos Frau die Kinder zur Schule. Sie waren mit zwei Autos unterwegs, mit dem der Señora, einem hellgrünen Mercedes, und mit dem Lieferwagen, einem braunen Grand Cherokee, der den ganzen Vormittag über mit zwei anderen Leibwächtern an Bord vor der Schule parkte. Die beiden wurden die Leibwächter der Knirpse genannt, so wie man Lalo und seine beiden Kollegen die Leibwächter der Señora nannte, allesamt rangniedriger als die drei Männer, die für Pedro Rengifos Sicherheit zuständig waren und die Leibwächter des Chefs oder Guaruras des Chefs genannt wurden, womit nicht nur eine Hierarchie in Bezug auf Lohn und Funktion, sondern auch in Bezug auf persönlichen Mut, Unerschrockenheit und Selbstverleugnung definiert war. Nachdem Pedro Rengifos Frau die Kinder bei der Schule abgesetzt hatte, ging sie einkaufen. Sie war zunächst in einem Kleidergeschäft, dann in einer Parfümerie und später kam sie auf die Idee, eine Freundin zu besuchen, die in der Calle Astrónomos in der Siedlung Madero wohnte. Lalo Cura und die beiden Leibwächter warteten rund eine Stunde auf sie, der aus Tijuana im Innern des Wagens, Lalo und der aus Juárez außen am Wagen lehnend und schweigend. Als die Señora aus dem Haus trat (die Freundin begleitete sie bis zur Tür), stieg der Leibwächter aus Tijuana aus, und Lalo und sein Kollege richteten sich auf. Einige Passanten waren in der Straße unterwegs, nicht viele, aber einige schon. Leute auf dem Weg in die Innenstadt, die irgendetwas zu erledigen hatten, Leute, die Vorbereitungen für Weihnachten trafen, Leute, die fürs Mittagessen Tortillas einkaufen wollten. Der Fußgängerweg war grau, aber in der Sonne, die durch die Zweige einiger Bäume perlte, wirkte er bläulich und wie ein Fluss. Die Frau von Pedro Rengifo gab ihrer Freundin einen Kuss und trat auf den Gehweg. Der aus Juárez beeilte sich, ihr dabei das Eisengatter aufzuhalten. Zur einen Seite war niemand zu sehen. Von der anderen Seite näherten sich ihnen zwei Hausangestellte. Als die Señora auf die Straße trat, drehte sie sich um und sagte etwas zu ihrer Freundin, die an der Haustür stehen blieb. Da sah der aus Tijuana, dass zwei Männer hinter den Hausangestellten hergingen, und erstarrte. Lalo Cura sah den aus Tijuana an, dann sah er die Männer und wusste sofort, dass es sich um Killer handelte, die Pedro Rengifos Frau ermorden wollten. Der aus Tijuana trat zu dem aus Juárez, der noch das Eisengitter aufhielt, und sagte etwas zu ihm, obwohl unklar war, ob mit Worten oder mit Gesten. Die Frau von Pedro Rengifo lächelte. Ihre Freundin stieß ein schallendes Gelächter aus, das sich für Lalo anhörte, als käme es von weit her, von hoch oben aus den Bergen. Dann sah er, wie der aus Juárez den aus Tijuana anschaute: Von unten hoch, wie ein Schwein die Sonne, von Angesicht zu Angesicht. Mit der linken Hand entsicherte er seine Desert Eagle und hörte dann die Absätze von Pedro Rengifos Frau, die auf den Wagen zuging, und das mit lauter Fragezeichen garnierte Geschnatter der Hausangestellten, als unterhielten sie sich nicht, sondern als würden sie sich unablässig ausfragen und wundern, als könnten sie selbst nicht glauben, was sie einander erzählten. Beide waren nicht älter als zwanzig. Sie trugen ockerfarbene Röcke und gelbe Blusen. Die Freundin der Señora, die von der Haustür aus zum Abschied winkte, trug eine hautenge Hose und einen grünen Pullover. Pedro Rengifos Frau trug ein weißes Kostüm, auch ihre hochhackigen Schuhe waren weiß. Gerade dachte Lalo noch an das Kleid der Frau seines Chefs, als seine beiden Kollegen sich umdrehten und davonrannten. Er wollte schreien: Nicht kneifen, ihr Hosenscheißer, aber er brachte nur ein geflüstertes Hosenscheißer heraus. Die Frau von Pedro Rengifo bekam von alldem nichts mit. Mit einem Ruck schoben die Killer die Hausangestellten beiseite. Der eine hielt eine Uzi-Maschinenpistole im Arm. Er war dünn und von schwärzlicher Hautfarbe. Der andere war mit einer Pistole
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