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Hinweis auf das, was sie erwartete. Es war eine kleine Wohnung, die aus Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Bad bestand. Im Bad, auf dem Badezimmerboden, entdeckte sie ihre Freundin, und es sah aus, als sei sie hingefallen und mit dem Kopf aufgeschlagen, jedoch ohne zu bluten. Erst als sie ihr Wasser ins Gesicht spritzte, um sie wieder zu sich zu bringen, wurde ihr klar, dass Rebeca tot war. Von einer Telefonzelle aus rief sie die Polizei und das Rote Kreuz an, dann ging sie zurück in die Wohnung, schaffte die Leiche ihrer Freundin aufs Bett, setzte sich in einen Sessel im Wohnzimmer und vertrieb sich die Wartezeit mit Fernsehen. Lange vor der Polizei traf das Rote Kreuz in Gestalt zweier Männer ein, der eine ein junger Bursche, keine zwanzig, der andere ein etwa fünfundvierzigjähriger Typ, der der Vater des Jüngeren zu sein schien und sagte, da sei nichts mehr zu machen. Rebeca sei tot. Wo sie sie gefunden habe, fragte er, im Bad, erwiderte sie. Dann werden wir sie ins Bad zurückbringen, Sie wollen doch keinen Ärger mit den Bullen, sagte der Mann und gab dem Jüngeren ein Zeichen, das Mädchen bei den Füßen zu nehmen, während er sie bei den Schultern fasste, und so trugen sie sie an den realen Schauplatz ihres Todes. Dann fragte der Sanitäter, in welcher Stellung sie sie gefunden habe, auf der Kloschüssel sitzend oder an sie gelehnt oder am Boden liegend oder in einer Ecke zusammengekauert. Die Freundin schaltete daraufhin den Fernseher aus, ging zum Badezimmer und gab den Männern von der Tür aus Anweisungen, bis Rebeca wieder so dalag, wie sie sie gefunden hatte. Rebeca sah aus, als würde sie in einem Meer weißer Fliesen ertrinken. Als sie die Nase voll hatten von dem Anblick oder der Magen sich ihnen umdrehen wollte, setzten sie sich ins Wohnzimmer, die Freundin in den Sessel, die Sanitäter an den Tisch, und rauchten süßliche Zigaretten, die der Ältere aus der hinteren Hosentasche zog. Sie sind das bestimmt gewohnt, sagte die Freundin etwas zusammenhanglos. Kommt drauf an, sagte der Sanitäter, der nicht wusste, ob sie den Tabak oder den täglichen Transport von Toten und Verletzten meinte. Tags darauf notierte der Gerichtsmediziner in seinem Bericht Tod durch Erwürgen. Offenbar hatte die Ermordete in ihren letzten Stunden sexuellen Kontakt gehabt, doch wollte der Gerichtsmediziner kein Urteil darüber treffen, ob eine Vergewaltigung vorlag oder nicht. Eher nicht, sagte er, als man eine abschließende Einschätzung von ihm verlangte. Die Polizei versuchte, ihren Freund, einen gewissen Pedro Pérez Ochoa, festzunehmen, aber als sie endlich seine Behausung ausfindig gemacht hatten, war er längst auf und davon. Sie lag am Ende der Calle Sayuca in der Siedlung Las Flores und war eine Baracke, die Platz für eine Matratze und einen Tisch bot und durchaus geschickt aus Backsteinen und altem Schrott zusammengeflickt war, nur wenige Meter vom Abwasserkanal der Maquiladora EastWest entfernt, in der er arbeitete. Die Nachbarn beschrieben ihn als einen seriösen, im Großen und Ganzen gepflegten Mann, woraus man schließen durfte, dass er bei Rebeca duschte, zumindest in den letzten Monaten. Niemand konnte sagen, woher er stammte, weshalb kein vorläufiger Haftbefehl verschickt wurde. Seine Personalakte bei EastWest war verschwunden, was in den Maquiladoras, in denen ein Kommen und Gehen von Arbeitern herrschte, nicht ungewöhnlich war. Im Innern der Baracke fand man mehrere Sportzeitschriften und eine Biographie von Flores Magón, einige Sweater, ein Paar Sandalen, zwei Paar kurze Hosen und drei Fotografien mexikanischer Boxer, ausgeschnitten aus einer Zeitung und an jene Wand geheftet, vor der die Matratze lag, als hätte Pérez Ochoa sich vorm Einschlafen die Gesichter und die Posen der Kämpfer einprägen wollen.
Im Juli 1994 wurde keine Frau ermordet, dafür tauchte ein Mann auf, der Fragen stellte. Er erschien immer Samstagmittags und verschwand Sonntagnachts oder Montagmorgens in aller Frühe. Der Mann hatte schwarzes Haar und braune Augen, war mittelgroß und war angezogen wie ein Cowboy. Anfangs drehte er etliche Runden um die Plaza de Armas, als wollte er sie vermessen, dann aber nahm er sich eine Reihe von Diskotheken vor, insbesondere das Pelícano und das Domino's. Er stellte nie direkte Fragen. Er sah aus wie ein Mexikaner, sprach aber Spanisch wie ein Gringo, sein Wortschatz war begrenzt, Wortspiele verstand er gar nicht, obwohl niemand, der ihm in die Augen schaute, es wagte, ihn auf
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