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und dem Spanier war häufig ein getreues Abbild ihrer Beziehung zu dem Franzosen.
Das Essen war unterschiedlich (in Paris besser), Bühne und Kulissen waren unterschiedlich (in Paris moderner), und die Sprache war unterschiedlich, mit Espinoza sprach sie überwiegend deutsch und mit Pelletier überwiegend englisch, aber im Großen und Ganzen gab es mehr Übereinstimmungen als Unterschiede. Auch mit Espinoza hatte es selbstverständlich Nächte ohne Sex gegeben.
Hätte die beste Freundin (die sie nicht besaß) sie gefragt, mit welchem ihrer beiden Freunde es im Bett besser lief, so hätte sie darauf keine Antwort gewusst.
Mal dachte sie, Pelletier sei der qualifiziertere Liebhaber. Dann wieder dachte sie, Espinoza sei es. Wenn man die Sache von außen, sagen wir, in einem strikt akademischen Rahmen betrachtete, könnte man sagen, dass Pelletier bibliographisch mehr draufhatte als Espinoza, der auf diesem Feld der Ehre mehr seinem Instinkt als seinem Intellekt vertraute und zudem den Nachteil hatte, Spanier zu sein, also einer Kultur anzugehören, die oftmals Erotik mit Eschatologie und Pornographie mit Koprophagie verwechselte, ein Irrtum, der (durch Abwesenheit) auffiel in der mentalen Bibliothek von Espinoza, der zum ersten Mal den Marquis de Sade gelesen hatte, bloß um einen Artikel von Pohl aufs Korn zu nehmen (und zu widerlegen), in dem dieser Verbindungen zwischen Justine und Die Philosophie im Boudoir und einem Roman von Archimboldi aus den fünfziger Jahren herstellte.
Pelletier dagegen hatte den göttlichen Marquis im Alter von sechzehn Jahren gelesen, mit achtzehn dann mit zwei Kommilitoninnen in einer ménage à trois gelebt, und seiner jugendlichen Vorliebe für erotische Comics war eine erwachsene, vernünftige und maßvolle Sammelleidenschaft für Werke erotischer Literatur des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts entsprungen. Bildlich gesprochen: Mnemosyne, die Berggöttin und Mutter der neun Musen, stand dem Franzosen näher als dem Spanier. Unverblümt gesprochen: Dank seiner Bibliographie konnte Pelletier sechs Stunden am Stück vögeln (ohne zu kommen), Espinoza konnte selbiges dank seines Mutes und seiner Kraft (wobei er zweimal, manchmal dreimal kam und anschließend fix und fertig war).
Wo wir schon bei den Griechen sind, sollte man vielleicht noch erwähnen, dass sich Espinoza und Pelletier für Odysseus-Kopien hielten (und es auf ihre verquere Art auch waren) und dass beide in Morini einen Eurylochos sahen, den treuen Freund, von dem in der Odyssee zwei sehr unterschiedliche Heldentaten erzählt werden. Die erste spielt auf seine Klugheit an, sich nicht in ein Schwein verwandeln zu lassen, also auf sein einsames und individualistisches Bewusstsein, auf sein methodisches Misstrauen, seine seemännische List. Die zweite dagegen handelt von einem profanen, frevlerischen Abenteuer, dem von den Rindern des Zeus oder eines anderen mächtigen Gottes, die friedlich auf der Sonneninsel weideten und damit Eurylochos' gewaltigen Appetit weckten, der mit wenigen intelligenten Worten seine Kameraden dazu verlockte, sie zu schlachten und einen großen Festschmaus miteinander zu halten, was Zeus oder den betreffenden Gott über die Maßen erzürnte, so dass er Eurylochos für sein aufgeklärtes oder atheistisches oder prometheisches Gehabe verfluchte, denn weniger der Verzehr seiner Rinder als solcher hatte den Gott gekränkt als vielmehr Eurylochos' Auftreten, seine Hunger-Dialektik, und wegen dieser Tat, wegen des Schmauses, kenterte das Boot, in dem Eurylochos saß, und alle Seeleute starben, und das war es, wovon Pelletier und Espinoza glaubten, es werde Morini zustoßen, nicht bewusst natürlich, sondern als lose Gewissheit oder Intuition, als winziger schwarzer Gedanke oder winziges Symbol irgendwo in einem winzigen schwarzen Seelenwinkel der beiden Freunde.
Gegen Ende des Jahres 1996 hatte Morini einen Alptraum. Er träumte, dass Norton in ein Schwimmbecken sprang, während Pelletier, Espinoza und er um einen Steintisch versammelt waren und Karten spielten. Espinoza und Pelletier saßen mit dem Rücken zum Becken, das anfangs ein ganz normaler Hotel-Swimmingpool zu sein schien. Während des Spiels beobachtete Morini die anderen Tische, die Sonnenschirme, die um das Becken aufgereihten Liegestühle. Weiter hinten gab es einen Park mit dunkelgrünen Hecken, die glänzten, als hätte es gerade geregnet. Nach und nach verließen die Leute den Pool und verschwanden durch verschiedene Türen, die
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