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Verwendung, bei jedem einmal. Das Wort Angst wurde sechsmal und das Wort Treue einmal verwendet (von Espinoza). Das Wort Entschlossenheit fiel zwölfmal. Das Wort Solipsismus siebenmal. Das Wort Euphemismus zehnmal. Das Wort Kategorie fand insgesamt, in Singular und Plural, neunmal Verwendung. Das Wort Strukturalismus einmal (bei Pelletier). Die Worte Essen, Essengehen, Frühstück und Sandwich neunzehnmal. Die Worte Augen und Hände und Haare vierzehnmal. Danach wurde das Gespräch flüssiger. Pelletier erzählte einen Witz auf Deutsch, und Espinoza lachte. Dann erzählte Espinoza einen Witz auf Deutsch, und Pelletier lachte. Tatsächlich lachten beide, eingespannt in die Wellen oder was immer es war, das ihre Stimmen und Gehörgänge über dunkle Felder, die windigen und verschneiten Pyrenäen, Flüsse, einsame Straßen und die endlosen Vorstädte um die Metropolen Paris und Madrid hinweg verband.
Das zweite Telefonat, fast doppelt so lang wie das erste, war das Gespräch zweier Freunde, die sich bemühten, jeden dunklen Punkt, den sie übersehen hatten, zu klären, ohne dass ein technisches oder logistisches Gespräch daraus wurde, im Gegenteil, in dem Gespräch kamen Themen zur Sprache, die nur am Rande mit Norton und gar nichts mit den Wechselbädern der Sentimentalität zu tun hatten, Themen, die man problemlos anschneiden und mit Leichtigkeit wechseln konnte, um auf das Hauptthema zurückzukommen: Liz Norton, in der beide, noch kurz vor Ende des zweiten Telefonats, nicht die Erinnye - Klageweib mit blutbefleckten Schwingen - sahen, die ihrer Freundschaft ein Ende machte, nicht Hekate, die als Hüterin kleiner Kinder, gleichsam als Au-pair, angefangen und zuletzt die Hexerei und wie man sich in ein Tier verwandelt studiert hatte, sondern den Engel, der diese Freundschaft zusammenschmiedete, indem er sie etwas erkennen ließ, das sie geahnt und irgendwie vorausgesetzt, aber nie zweifelsfrei geglaubt hatten, dass sie nämlich zivilisierte Wesen waren, Wesen mit der Fähigkeit zu noblen Empfindungen, keine Grobiane, denen die Routine und regelmäßige sitzende Tätigkeit zu sittlicher Verrohung verholfen hatte, ganz im Gegenteil, Pelletier und Espinoza erlebten sich in dieser Nacht als großmütig, als so großmütig erlebten sie sich, dass sie das jetzt irgendwo gefeiert hätten, wenn ein Treffen möglich gewesen wäre, geblendet vom Glanz der eigenen moralischen Größe, einem Glanz, der gewiss nicht lange vorhielt (denn jede moralische Größe entbehrt, außer im kurzen Moment der Anerkennung, des Glanzes und lebt in einer dunklen Höhle zusammen mit anderen, zum Teil sehr gefährlichen Gestalten), und so beendeten sie mangels Feier und Gläserklang das Gespräch mit dem stillschweigenden Versprechen ewiger Freundschaft und besiegelten es, nachdem ein jeder in seiner mit Büchern vollgestopften Wohnung den Hörer aufgelegt hatte, indem sie unendlich langsam einen Whisky tranken und in die Nacht hinter den Fenstern blickten, vielleicht unbewusst Ausschau haltend nach etwas, das der Schwabe im Haus der Witwe jenseits des Fensters gesucht, aber nicht gefunden hatte.
Morini war, wie konnte es anders sein, der Letzte, der von der Sache erfuhr, obwohl die Algebra der Gefühle in seinem Fall nicht immer schulmäßig funktionierte.
Bevor Norton zum ersten Mal mit Pelletier im Bett war, hatte Morini diese Möglichkeit bereits vorausgeahnt. Nicht an der Art, wie Pelletier sich vor Norton benahm, sondern an ihrer Entrücktheit, einer verschwommenen Entrücktheit, die Baudelaire als Spleen und Nerval als Melancholie bezeichnet haben würde und die die Engländerin in eine ausgezeichnete Verfassung versetzte, um mit dem Erstbesten ein intimes Verhältnis anzufangen.
Das mit Espinoza hatte er natürlich nicht vorausgesehen. Als Norton ihn anrief und ihm erzählte, dass sie mit beiden liiert sei, war Morini überrascht (obwohl er nicht überrascht gewesen wäre, wenn Norton gesagt hätte, sie sei mit Pelletier liiert oder mit einem Kollegen von der Londoner Universität oder auch mit einem ihrer Studenten), ließ sich aber nichts anmerken. Hinterher versuchte er an etwas anderes zu denken, vergeblich.
Er fragte Norton, ob sie glücklich sei. Norton bejahte. Er erzählte ihr, er habe eine E-Mail von Borchmeyer mit neuen Nachrichten bekommen. Norton schien nicht besonders interessiert. Er fragte sie, ob sie etwas von ihrem Mann gehört habe.
»Exmann«, sagte Norton.
Nein, sie habe nichts gehört, obwohl eine alte
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